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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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natürlich auf Fledertiere und hier insbesondere auf die Flughunde. Der einzige in Bangladesch heimische Flughund ist der riesengroße Indische Riesenflughund ( Pteropus giganteus ). Aus früheren Untersuchungen wussten Luby und sein Team, dass Tiere dieser Spezies sich im Test auf Nipah-Antikörper als positiv erwiesen hatten. Aber wie gelangte das Virus von den Fledertieren in die Menschen, wenn nicht über Schweine? Nun, zufällig schmeckt der Dattelpalmensaft auch den Indischen Riesenflughunden. Baumbesitzer klagten immer wieder, sie hätten nachts Flughunde in ihren Palmen gehört. Lubys Gruppe berichtete nach Arbeiten in Tangail: »Den Besitzern waren die Flughunde lästig, weil sie häufig den Palmensaft unmittelbar von der Zapfstelle oder aus dem Tontopf trinken. Häufig findet man Flughundexkremente, die außen an den Töpfen kleben oder im Saft schwimmen. Hin und wieder treibt in den Töpfen auch ein totes Tier.« 122 Aber das konnte die Nachfrage nach unbehandeltem Saft nicht verringern.
    Auf einer langen Liste potenzieller Risikofaktoren, die Lubys Team nach Tangail mitnahm, war der Genuss des Palmensaftes nur eine unter mehreren Hypothesen, die sich aus den Befragungsprotokollen als Vermutung ergab. Wie Luby mir erzählt, waren die ersten Wissenschaftler, die auf der Bildfläche erschienen, Sozialanthropologen; sie waren sehr locker und stellten offene Fragen, die weniger formell und quantitativ formuliert waren als die der Epidemiologen. »Und die Anthropologen haben gesagt: ›Die Kranken haben alle Dattelpalmensaft getrunken.‹« Damit meinte er: alle, die an Nipah erkrankt waren. Als Nächstes kamen die Epidemiologen und bestätigten die Hypothese mit handfesten Daten. »Die Epidemie von Tangail war für uns der Augenblick der Erleuchtung«, sagt er. Im Rückblick liegt die Erleuchtung, wie es so oft der Fall ist, auf der Hand: Ja, unbehandelten Dattelpalmensaft zu trinken, ist ein hervorragender Weg, um sich mit Nipah anzustecken.
    Er erläutert mir den Zusammenhang. Den westlichen Teil von Bangladesch, in dem sich die meisten Epidemien abgespielt haben, kann man als »Nipah-Gürtel« bezeichnen. Vielleicht liegt das daran, dass es auch der Dattelpalmengürtel ist. Die Flughunde sind weit verbreitet, aber die Dattelpalmen wachsen vor allem im Westen und sind dort wegen ihres Saftes geschätzt. Die Ernte beginnt Mitte Dezember, wenn mit der ersten kalten Nacht in Bangladesch der »Winter« beginnt. Die Sammler werden als gachis (»Baumleute«) bezeichnet. Die Palmen gehören ihnen aber nicht, deshalb geben sie den Eigentümern in der Regel die Hälfte des Produkts ab. Die gachis sind meist arme Landarbeiter, die sich mit dem Palmsaft eine Kleinigkeit dazuverdienen. Um den Saft zu ernten, klettert ein gachi auf die Palme, schält in der Nähe der Spitze die Rinde ab, so dass ein V-förmiges Stück Holz freigelegt wird, aus dem der Saft herausquillt. Am unteren Ende des V bringt er einen kleinen »Hahn« aus Bambus an, und darunter wird ein kleiner Tontopf aufgehängt. Der Saft fließt die ganze Nacht, und der Topf füllt sich. Kurz vor Morgengrauen klettert der gachi erneut auf die Palme und holt den Topf mit dem frischem Saft herunter. Pro Baum erntet er bis zu zwei Liter. Was für ein Schatz! Die zwei Liter sind ungefähr 20 Takas (knapp 20 Eurocent) wert, wenn er sie vor zehn Uhr morgens verkaufen kann. Er schüttelt den Inhalt des Tontopfes in ein größeres Aluminiumgefäß und mischt Saft, Flughundexkremente (wenn vorhanden), Flughundurin (wenn vorhanden) und Viren (wenn vorhanden) von einem Baum mit dem Saft (und den Verunreinigungen) der anderen. Dieses Produkt wird dann verkauft. Manche gachis sind achtsamer, denn durchsichtiger, rötlicher Saft bringt bessere Preise als die schaumige, trübe Flüssigkeit voller ertrunkener Bienen, Vogelfedern und Flughundscheiße.
    Nach Ansicht von Steve Luby führt die ganze Untersuchung in zwei völlig unterschiedliche Richtungen, die eine praktisch und von unmittelbarer Bedeutung, die andere langfristig und wissenschaftlich. Auf der praktischen Seite suchten er und seine Leute nach kostengünstigen Methoden, mit denen die gachis die Flughunde von ihren Tontöpfen fernhalten können. Ein einfaches Gitter aus geflochtenen Bambusfasern, das ungefähr zehn Cent kostet, kann man um die angeschnittene Stelle des Baumes und den Tontopf legen, so dass die Flughunde sie nicht mehr erreichen können. Eine solche Lösung ist einfacher und vermutlich

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