Spillover
einem anderen Baum an der Rückseite des Lagerhauses, und als sie mit Klettern und Binden fertig sind, können sie zwischen den beiden Bäumen ein riesiges Vogelnetz hochziehen und herunterlassen.
Die Flughunde sind natürlich verstört, weil wir auf ihren Schlafbaum vorgedrungen sind. Hunderte von Tieren wachen auf, fliegen los und kreisen über dem Fluss, kommen wieder zurück, fliegen erneut weg wie Treibgut auf einem riesigen Luftwirbel. Vor dem taghellen Himmel wirken sie groß wie Wildgänse, die mühelos auf den Aufwinden kreisen oder in langsamem Rhythmus mit den Flügeln schlagen. Wenn sie in geringer Höhe über uns hinwegfliegen, erkennen wir den rotbraunen Pelz, die großen, fast durchsichtigen braunen Flügel, die spitze Schnauze. Sie mögen es zwar nicht, wenn man sie aufweckt, aber Anzeichen für Panik sind nicht zu erkennen. Sie sind einfach großartig. Ich habe in Indien zuvor schon Flughunde gesehen, aber nie so viele in Bewegung und aus so geringer Entfernung. Ich starre sie wohl an wie ein Dummkopf, denn Epstein erteilt mir einen sanften Rat: »Mach den Mund zu, wenn du nach oben schaust.« Das erinnert mich daran, dass sie das Nipah-Virus auch mit dem Urin ausscheiden.
Im Hotel stellen wir unsere Wecker auf 0 Uhr 30. Nach dem Wecken beginnt die eigentliche Arbeit. Während wir durch den schlafenden Ort zu dem Depotgelände fahren, erteilt Epstein uns die Sicherheitsbelehrung, wie er sie nennt. Alle, die Flughunde in die Hand nehmen, müssen Schutzbrillen und Schweißerhandschuhe aus Leder tragen. Darunter Arzthandschuhe. Behaltet die Mütze auf, lasst die langen Ärmel heruntergekrempelt. Pitu und Gofar werden die gefangenen Flughunde aus dem Netz befreien und sie euch dann in die Hand drücken. Greift den Kopf mit einer Hand, die Gliedmaßen mit der anderen, wobei ihr die kräftigen kleinen Hand- und Fußgelenke zwischen euren Fingern – eins, zwei, drei, vier – und dem Daumen festhaltet. Vier Klammerschlitze, das reicht gerade. Verlasst euch auf Pitu und Gofur, die werden euch helfen. Auf diese Weise könnt ihr einen Flughund so unter Kontrolle bringen, dass niemand verletzt wird. Lasst jedes Tier in einen Kissenbezug fallen – Arif hält ihn auf. Knotet ihn dann zu, hängt ihn an einen Ast und kümmert euch um den nächsten Flughund. Wenn ihr gekratzt oder gebissen werdet, gehen wir von einem Erregerkontakt aus – möglicherweise mit Nipah, vielleicht auch mit Tollwut. Wir waschen die Wunde fünf Minuten mit Seife und bestreichen sie dann mit Benzalkoniumchlorid, einem sehr wirksamen virustötenden Wirkstoff. Unmittelbar danach bekommt ihr eine Tollwut-Auffrischungsimpfung. Noch Fragen?
Das meiste davon ist glücklicherweise nicht auf mich gemünzt, sondern auf Jim Desmond. Arif und Pitu sind abgebrühte Profis; sie brauchen keine Belehrung. Der eigentliche Auszubildende ist Desmond – ich bin nur zum Zusehen da. Ich habe nicht vor, mir einen nipahtriefenden Flughund in die Hand drücken zu lassen, wenn ich es irgendwie vermeiden kann.
Unmittelbar außerhalb des Anwesens, in einem anderen leeren Gebäude, hat Epstein sein Feldlabor eingerichtet. In den frühen Morgenstunden haben er und seine Leute hier ihre Ausrüstung für die spätere Tätigkeit vorbereitet: Die gefangenen Flughunde werden betäubt, jedem Tier werden Blutproben und Abstriche entnommen, die Röhrchen mit dem Blut werden zentrifugiert, so dass man das Serum abnehmen kann, und alle Proben werden in einem Transporttank mit flüssigem Stickstoff eingefroren. Dieser Raum hat einen Betonfußboden und vergitterte Fenster, ein Holztisch ist jetzt mit Kunststofffolie abgedeckt, und an der Tür steht ein Sterilisations-Fußbad, durch das wir mit unseren Gummistiefeln hinein- und hinausgehen. Epstein verteilt Atemmasken, Schutzbrillen und medizinische Handschuhe (die nicht aus Latex oder Gummi sind, sondern aus dem neuesten Material der Wahl: Nitril). Wir rüsten uns aus. Er und Desmond haben alte Overalls angezogen. Arif hat einen hübschen neuen Tyvek-Einteiler, der aussieht wie ein leuchtend weißer Strampelanzug. Nimm etwas anderes, wenn es geht, sagt Epstein leise zu ihm, denk dran, diese Flughunde orientieren sich nicht mit Ultraschall, sondern visuell, sie können dich sehen. Desmond probiert sein Atemgerät aus, und im nächsten Augenblick erkundigt sich Epstein: »Kriegst du Luft?«
»Ja.«
»Gut. Du darfst nicht ohnmächtig werden. Das ist Regel Nummer fünf.« Ich versuche mich an die anderen vier zu
Weitere Kostenlose Bücher