Spillover
Verstärkerwirt? Unbekannt. Schweine waren dieses Mal jedenfalls nicht beteiligt.
Als ein Epidemiologenteam einige Jahre später die Fälle von Chandpur im Rückblick betrachtete, sah es so aus, als seien nur zwei Risikofaktoren der Erwähnung wert. Manche Opfer hatten andere Opfer gepflegt oder bei ihnen gelebt, was den Gedanken an eine Übertragung von Mensch zu Mensch nahelegte. Das war etwas Neues. Und eine ganze Reihe Betroffener hatten Kontakt mit einer erkrankten Kuh. Eine Kuh? In ihrem gewissenhaften, präzisen Bericht, in dem sie alle Anhaltspunkte sammelten, erwähnen die Epidemiologen das Tier mehrere Male. Wenn das Virus in malaysischen Schweinen gedeiht, konnte es dann nicht auch in einer Kuh in Bangladesch gedeihen? Vielleicht. Die Rolle der Kuh wurde nicht näher beleuchtet.
Im Januar 2003 begann eine neue Epidemie, dieses Mal im Distrikt Naogaon ungefähr 160 Kilometer nördlich von Chandpur. Wieder kam es zu fiebrigen Erkrankungen mit Verwirrtheitszuständen, Enzephalitis, Krankenhauseinweisungen und einer hohen Sterblichkeit; und wieder war nicht plausibel zu erklären, woher das Virus gekommen war. Aufschlussreich war, dass eine Schweineherde, die vermutlich von Nomaden versorgt wurde, die Region durchquert hatte. Einige der Patienten, die an Nipah-Enzephalitis erkrankten, waren mit den Tieren in Kontakt gekommen. Aha. In den Berichten steht nichts davon, dass die Schweine, wie in Malaysia, geniest und gehustet hätten, aber möglicherweise waren sie dennoch infiziert und ansteckend. Die Wissenschaftler in Bangladesch rätselten immer noch über die Epidemien Nummer eins und zwei, da begann im Januar 2004 die dritte. Dieses Mal traf es eine Reihe von Dörfern im Distrikt Rajbari unmittelbar westlich des Padma River (eines Mündungsarmes des Ganges) gegenüber von Dhaka. Auch hier war die Zahl der Fälle klein: Es war nur ein Dutzend, aber von diesen zwölf Personen starben zehn. Seltsam erschien eine andere Regelmäßigkeit in den Daten: Bei den meisten Betroffenen handelte es sich um Kinder, genauer gesagt um Jungen unter 15 Jahren.
Nun trat eine andere Kompanie von Epidemiologen auf den Plan, unter ihnen der Amerikaner Joel M. Montgomery, der ein Postdoc-Stipendium der CDC hatte. Sie kamen mit Klemmbrettern, Fragebögen und Instrumenten zum Blutabnehmen, und alle hofften, sie könnten die Vorgänge erklären. Sie führten eine Fall-Kontroll-Studie durch, das heißt, sie suchten nach Unterschieden im Verhalten von Erkrankten und Gesunden, und versuchten so, den Ausgangspunkt der Epidemie zu identifizieren und ihre Ausbreitung nachzuzeichnen. Welche riskanten Tätigkeiten brachten einen Menschen in die Gefahr, sich anzustecken?
Natürlich tun kleine Jungen in Bangladesch wie überall eine Menge gefährlicher Dinge, die unangenehme Folgen haben können: Platzwunden, gebrochene Arme, Ertrinken, Schlangenbisse, verhaftet oder von einem Zug überfahren werden. Aber durch welche riskanten Verhaltensweisen konnte man Nipah bekommen? Montgomery und seine Kollegen gingen einige Möglichkeiten durch: Fischen, Jagen, Berühren toter Tiere, Kricket, Fußball oder Versteckspielen, Essen von Früchten, die man vom Boden aufgehoben hat. Als immer mehr Daten zusammenkamen, sah es so aus, als könnte das »Berühren toter Tiere« eine Rolle spielen; 120 denn von den Kindern, die eine Woche zuvor erkrankt waren, hatten mehrere bei der Beerdigung toter Hühner und Enten geholfen. Offensichtlich hatten die Kinder mit totem Geflügel Bestattungsriten nachgespielt. Aber auch eine ganze Reihe von Kindern aus dem Dorf, die nicht erkrankt waren, hatten die toten Tiere angefasst. Die Enten und Hühner erwiesen sich als falsche Spur. Es ist eben nicht einfach, in einem Dorf in Bangladesch epidemiologische Forschung zu betreiben. Keine der erwähnten, harmlosen kindlichen Betätigungen, von der Entenbestattung bis zum Kricket, war mit den infizierten Jungen (genesen oder tot) signifikant stärker assoziiert als mit gesunden Gleichaltrigen. Nur eine solche Assoziation gab es: das Klettern auf Bäume.
Auf Bäume klettern? Das war rätselhaft. Montgomerys Arbeitsgruppe konnte zwar eine deutliche Korrelation nachweisen, mit ihren Befunden war aber nicht erklärt, warum die Jungen durch das Klettern auf Bäume einer Nipah-Infektion ausgesetzt waren. Man konnte nur eine begründete Vermutung anstellen: So kamen die Jungen den Flughunden näher.
Drei Monate später, im April 2004, erfuhren die Gesundheitsbehörden in
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