Spillover
sehen wir auch immer mehr Dattelpalmen. Die glatten Stämme tragen fischgrätförmige Streifen, an denen zu erkennen ist, wo die gachis sie in den letzten Jahren angeschnitten haben. Es ist jetzt Mitte Januar, und die Safternte ist in vollem Gange – ein hervorragender Zeitpunkt, um ein Gläschen zu kosten. Wir tun es nicht. Wie ich von Arif erfahre, bezeichnen die Bangladeschis das Zeug als kajul ; sie halten es für ein gesundes Getränk, das Parasiten im Darm abtötet. Aber Arif erklärt, man müsse es frisch trinken. Wenn man den Saft kocht, verdirbt man nicht nur seinen Geschmack, sondern auch die medizinische Wirkung. Er selbst hat es als Junge auch getrunken, na klar, aber jetzt nicht mehr, kommt nicht mehr infrage, seit er sich mit Nipah beschäftigt.
Am frühen Abend erreichen wir eine Stadt namens Khulna, wo wir Zimmer in einem anständigen Hotel finden. Am nächsten Tag machen wir uns auf die Suche nach den Schlafplätzen der Flughunde. Es gibt eine Menge Bäume, aber nichts, was man als Wald bezeichnen könnte. Nur verstreute Kokospalmen, Bananen, Papayas, Tamarinden, ein paar Laubbäume und noch mehr Dattelpalmen. In einer davon sehe ich einen gachi . Er ist barfuß und steigt mit Händen, Füßen und einem am Gürtel befestigten Seil hinauf wie der Monteur an einer Hochspannungsleitung. Über der Schulter trägt er einen gewebten Köcher, in dem zwei lange, gebogene Messer stecken. Nicht weit davon steht ein kleiner Junge mit vier roten Tontöpfen am Straßenrand; sie sind leer und bereit, in der kommenden Nacht die tropfende Flüssigkeit aufzunehmen.
Auch die Flughunde sind in Kürze bereit. Derzeit schlafen sie noch. Im Gegensatz zu manchen Insekten fressenden Fledermäusen und einigen anderen Fledertieren schlafen Flughunde nicht in Höhlen, Bergwerken oder alten Gebäuden. Sie bevorzugen Bäume und hängen dann, in ihre Flügel eingewickelt, kopfüber von den Ästen wie seltsame tropische Früchte. Wir suchen vier oder fünf solche Stellen auf, sehen in den Baumkronen die Ansammlungen schlafender Flughunde, sprechen mit Einheimischen und mustern die Erde unter den einzelnen Schlafplätzen; keine davon erfüllt Epsteins anspruchsvolle Anforderungen. Entweder sind es zu wenig Flughunde (hundert hier, hundert da), oder die umstehenden Bäume beziehungsweise ihr Fehlen machen es nicht möglich, ein Netz aufzubauen, oder am Boden herrschen nicht die richtigen Verhältnisse.
Also kehren wir an eine Stelle zurück, die wir an der Straße nach Khulna entdeckt haben: ein aufgegebenes Lagerhaus in einem mehr als einen Hektar großen, ummauerten Anwesen, das dem Staat gehört und früher als Lager für Straßenbaumaterial gedient hat. Auf dem grasbewachsenen Hof zwischen Schuppen und Lagerhallen stehen mehrere große Schirmakazien, an denen vier- bis fünftausend Flughunde hängen. Offensichtlich ist dieser Schlafplatz bei den Tieren besonders beliebt, weil die Bäume so groß sind, weil die Mauern sie vor der Betriebsamkeit des Dorfes und den Jungen mit ihren Steinschleudern schützen, und weil sie sich jeden Abend in der Dämmerung von ihren Ästen fallen lassen können, um dann majestätisch über dem Rupshah River (einem weiteren Mündungsarm des Ganges) zu kreisen und in den Dörfern der Umgebung auf nächtliche Nahrungssuche zu gehen. Na gut, entscheidet Epstein, nehmen wir den.
120 Montgomery et al. (2008), S. 1529, Tabelle 2
121 Gurley et al. (2007), S. 1036
122 Luby et al. (2006), S. 1892
Einen Tag später, nach Gesprächen mit den örtlichen Beamten, haben er und Arif die Genehmigung, dass wir uns mitten in der Nacht in diesem alten Depot herumtreiben dürfen. Das ist der Grund, warum ich gern in Bangladesch arbeite, sagt Epstein. Einfache Anfrage, vernünftige Leute, promptes Handeln. Man muss einmal mit ähnlichen Erwartungen in andere asiatische Länder gehen, dann sieht man den Unterschied.
Aber bevor wir anfangen können, Flughunde zu fangen, müssen wir bei Tageslicht einige Vorbereitungen treffen. Mit einer langen, wackligen Bambusleiter klettern wir auf das Flachdach eines nicht mehr benutzten Lagerhauses unmittelbar neben Schirmakazien, und von dort aus klettern Gofur und Pitu weiter. Gelenkig wie Seeleute, die sich ins Krähennest begeben, steigen sie auf einen der Bäume und befestigen dort einen langen Bambusstab so, dass er senkrecht über einem der höchsten Äste aufragt. An der Spitze des Mastes befindet sich eine einfache, selbstgebaute Rolle. Genauso machen sie es auf
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