Spillover
handelt. Machupo ist der Name eines kleinen Flusses im Nordosten von Bolivien. Der erste dokumentierte Krankheitsfall kam und ging fast unbemerkt in Form einer schlimmen, aber nicht tödlichen fiebrigen Erkrankung eines dort lebenden Bauern. Das war während der Regenzeit 1959. Im Laufe der folgenden drei Jahre traten in derselben Region weitere und schlimmere Krankheitsfälle auf. Zu den Symptomen gehörten Fieber und Schüttelfrost, Übelkeit und Erbrechen, Gliederschmerzen, Nasen- und Zahnfleischbluten. Wegen der Farbe von Erbrochenem und Stuhl wurde die Krankheit »El Tifu Negro« (»schwarzer Typhus«) genannt, heute lautet die offizielle Bezeichnung »bolivianisches hämorrhagisches Fieber«. Bis Ende 1961 waren 245 Menschen daran erkrankt, die Sterblichkeit lag bei 40 Prozent. Die Todesfälle setzten sich fort, bis man das Virus isoliert, sein Reservoir identifiziert und die Dynamik seiner Übertragung so gut aufgeklärt hatte, dass man die Ansteckungswege durch vorbeugende Maßnahmen unterbrechen konnte. Mausefallen hatten daran einen großen Anteil. Die wissenschaftlichen Arbeiten wurden unter zumeist schwierigen Bedingungen von einem zusammengewürfelten Team aus US-Amerikanern und Bolivianern geleistet. Zu ihm gehörte auch Karl Johnson, ein junger Wissenschaftler, der stets unverblümt seine Meinung sagte, von der gefährlichen Schönheit der Viren zutiefst fasziniert war, sich schließlich selbst die Krankheit zuzog und um ein Haar daran gestorben wäre. Später schickten die Centers for Disease Control and Prevention ( CDC ) in Atlanta viele gut ausgerüstete Arbeitsgruppen; Johnson und seine Kollegen dagegen mussten ihre Methoden und Hilfsmittel vor Ort selbst entwickeln. Nachdem Karl Johnson das Fieber in einem Krankenhaus in Panama überstanden hatte, sollte er in der größeren Geschichte der neuen Krankheitserreger eine wichtige Rolle spielen.
Wenn man eine kurze Liste der Höhepunkte und größten Ängste in dieser Geschichte aus den letzten Jahrzehnten erstellen sollte, würde sie neben Machupo auch das Marburgvirus (1967), Lassa (1969) und Ebola (1976) umfassen, außerdem HIV -1 (erstmalig isoliert 1983), HIV -2 (1986), Sin Nombre (1993), Hendra (1994), Vogelgrippe (1997), Nipah (1998), West-Nil-Virus (1999), SARS (2003) sowie die gefürchtete, aber relativ harmlose Schweinegrippe von 2009. Das ist eine Dramen-Serie, die noch stärker von Viren strotzt als Vic Rails arme Stute.
Diese Liste könnte man als Abfolge schrecklicher Ereignisse interpretieren, die nichts miteinander zu tun haben – als unabhängige Schicksalsschläge, die uns Menschen aus diesem oder jenem und unerklärlichen Grund zugestoßen sind. So betrachtet, wären Machupo, die HIV s, SARS und andere Viren einfach »höhere Gewalt«, bedauerliche Unglücksfälle ähnlich Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Meteoriteneinschlägen, die man zwar beklagen und in ihren Auswirkungen lindern, aber nicht vermeiden kann. Das ist die passive, fast stoische Sichtweise. Sie ist aber falsch.
Täuschen wir uns nicht: Die aufeinanderfolgenden Krankheitsausbrüche hängen zusammen. Und sie stoßen uns auch nicht einfach nur zu, sondern sie sind die unbeabsichtigten Folgen dessen, was wir tun. In ihnen spiegelt sich das Zusammentreffen von zwei verschiedenen Krisen auf unserem Planeten wider. Die eine ist ökologischer, die andere medizinischer Natur. An der Schnittstelle der beiden zeigen sich ihre Folgen in Form schrecklicher neuer Krankheiten, die aus unerwarteten Quellen entspringen und bei den Wissenschaftlern, die sich mit ihnen beschäftigen, tiefe Besorgnis und schlimme Vorahnungen auslösen. Wie springen solche Krankheiten von Tieren auf Menschen über, und warum scheinen solche Sprünge in den letzten Jahren häufiger vorzukommen? Kurz gesagt: Die durch menschliche Eingriffe hervorgerufenen (Zer-)Störungen vieler Ökosysteme bringen Krankheitserreger aus Tieren in immer engeren Kontakt mit menschlichen Populationen, und gleichzeitig sorgen Technologie und Verhalten der Menschen dafür, dass sich diese Erreger immer weiter und schneller ausbreiten können. Drei Dinge spielen hier zusammen.
Erstens sorgen menschliche Aktivitäten dafür, dass die natürlichen Ökosysteme mit katastrophaler Geschwindigkeit zerfallen (ein Wort, das ich sorgfältig gewählt habe). In groben Umrissen kennen wir alle das Problem: Abholzung, Straßenbau, Brandrodung, Jagd und Verzehr wilder Tiere (wenn Afrikaner das tun, sprechen wir von »Buschfleisch« und
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