Spillover
zufällig eine starke, der Anpassung dienende Veränderung durchmacht. Je häufiger der Würfel rollt, desto mehr Gewinngelegenheiten gibt es. Da ist es wieder, das Wort von Jon Epstein: Gelegenheiten.
Nach der nächtlichen Flughundjagd mit Epstein war ich nach Dhaka zurückgekehrt. Dort wollte ich mehr darüber erfahren, wie gut Nipah von einem Menschen zum anderen übertragen werden kann. Zu diesem Zweck begebe ich mich ans ICDDR,B, das »Cholerakrankenhaus«, um mit einigen Mitarbeitern aus Steve Lubys Programm zur Erforschung von Infektionskrankheiten zu sprechen. Eine von ihnen ist die amerikanische Epidemiologin Emily Gurley. Sie hat in ihrer Jugend mehrere Jahre als Diplomatentochter in Bangladesch gelebt und ist dann als Erwachsene in das Land zurückgekehrt, um im staatlichen Gesundheitswesen zu arbeiten. Gurley ist Mitte dreißig; sie hat gelockte braune Haare, blasse Sommersprossen und blaue Augen, die ganz weit werden, wenn sie über wichtige Einzelheiten beim Aufspüren von Krankheiten spricht. Sie hat 2004 an der Untersuchung der Epidemie im Distrikt Faridpur mitgearbeitet, bei der 36 Krankheitsfälle identifiziert wurden und 27 Patienten starben. Am bemerkenswertesten war an der Episode von Faridpur, dass sich viele Betroffene offensichtlich durch den Kontakt mit einem einzigen Superverbreiter angesteckt hatten, der wie eine Spinne in der Mitte eines Netzes von Übertragungsbeziehungen saß.
Dieser Mann war eine religiöse Respektsperson, der verehrte Anführer einer islamischen Sekte, die offenbar keinen besonderen Namen trug, aber in einem Dorf namens Guholaxmipur und seiner Umgebung eine kleine Zahl glühender Anhänger hatte. Im Gegensatz zu den orthodoxen Muslimen lehnten es die Sektenmitglieder ab, fünfmal am Tag zu beten oder während des Ramadan zu fasten; sie saßen aber manchmal – Männer und Frauen – die ganze Nacht zusammen, beteten, rauchten Zigaretten (oder stärkeres Kraut) und sangen. Mit ihren ekstatischen Praktiken erregten sie den Zorn der »normalen« Gläubigen in ihrer Umgebung, und als ihr Anführer an einer kurzen, rätselhaften Krankheit starb und der Tod auch unter seinen Angehörigen und Anhängern zahlreiche Opfer forderte, machten die Nachbarn dafür einen asmani bala verantwortlich, einen göttlichen Fluch.
Nun, das war eine Erklärungsmöglichkeit. Die Epidemiologie bot eine andere.
Als Gurleys Arbeitsgruppe eintraf, war der Religionsführer bereits tot und bestattet, aus seinem Grab hatte man einen Tempel gemacht, und die Epidemie war in vollem Gange. Die Wissenschaftler kamen Anfang April aus Dhaka, wo ein dringender, aber verspäteter Anruf des leitenden Gesundheitsbeamten aus Faridpur eingegangen war. Er hatte sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass Menschen starben und dass Nipah offenbar die Ursache war. (Wie Nipah-Erkrankungen aussehen, wusste der Beamte zumindest ungefähr, weil es nur vier Monate zuvor im Nachbardistrikt Rajbari eine Epidemie gegeben hatte.) Als sie mit dem Auto nach Guholaxmipur kamen, so erzählt mir Gurley, »war es wirklich dramatisch. Aus dem Dorf kam uns ein Leichenzug entgegen, der Tote war in ein weißes Tuch gehüllt. Das verhieß nichts Gutes.« Die Menschen trugen bewusstlose Angehörige aus den Häusern und flehten die Besucher um Hilfe an. »In diesem Dorf waren viele Menschen krank.« Die Ärzte sorgten dafür, dass 17 Betroffene in das Distriktkrankenhaus in der Stadt Faridpur gebracht wurden; dort legte man sie zusammen in ein kleines Haus, das vom Hauptgebäude der Klinik getrennt war – eine provisorische Isolierstation. Diese »Station« war ein einziger großer Raum. Gurley und ihre Kollegen sammelten Probenmaterial und Krankengeschichten. Manche Patienten hatten starke Atembeschwerden. »Da war ein Mann«, berichtet Gurley, »der hat sich aufgesetzt und mit uns gesprochen und gehustet, gehustet, gehustet – aber er hat uns seine ganze Krankengeschichte erzählt. Am nächsten Morgen war er tot.«
Zum Glück hatten sie N95-Masken mitgebracht, ein einfaches und relativ billiges Mittel, das aber gut gegen kleine Partikel schützt und in solchen Situationen zur Standardausrüstung gehört. Hätten sie gewusst, was sie in Faridpur erwartete, sie hätten sich wahrscheinlich bessere Hilfsmittel gewünscht, aber Gurley bedauerte vor allem, dass sie nicht genügend N95-Masken dabei hatten, um nicht nur sich selbst, sondern auch das örtliche Pflegepersonal zu schützen. Außerdem war es die Unwettersaison. Irgendwann fegte
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