Spillover
eine heftige Bö durch den Ort, und der Strom fiel aus. Die Lampen erloschen, und das Personal schloss alle Fenster. Am nächsten Morgen war nicht nur der hustende Mann tot, sondern noch zwei andere Patienten in dem überfüllten, stickigen Raum.
Gurley sammelte die Befragungsergebnisse, und als sie daran ging, ein epidemiologisches Diagramm zu zeichnen, wurde ihr klar, »dass jeder, der auf dieser Krankenstation lag oder gelegen hatte, sehr engen Kontakt mit einem ganz bestimmten Menschen gehabt hatte, der ein paar Wochen zuvor gestorben war«. Der Religionsführer. Es war ein ganz anderes Verbreitungsmuster als bei früheren Nipah-Epidemien: Dort hatten sich die meisten Betroffenen anscheinend unmittelbar an einer Quelle in der Umwelt angesteckt (kranke Nutztiere? Bäume? Die Palmsaft-Hypothese gab es noch nicht), und die Symptome hatten sich vorwiegend am Nervensystem und nicht an den Atemwegen gezeigt. Eine Zeit lang hatte Gurleys Arbeitsgruppe sogar Zweifel, ob Nipah in Faridpur überhaupt die Krankheitsursache war. Aber dann lieferten die Proben, die sie nach Atlanta geschickt hatten, im Test auf Nipah positive Ergebnisse. Danach schickten die CDC ein kleines Spezialistenteam, das Gurley und ihren Kollegen unterstützen sollte.
Die Ermittlungen in Faridpur lieferten am Ende eine neue Erkenntnis über Nipah: Die Übertragung von Mensch zu Mensch könnte bei dieser Krankheit wesentlich wichtiger sein, als man bis dahin angenommen hatte. Von den 36 Fällen standen 22 in unmittelbarer Verbindung mit dem Religionsführer. Diese Menschen hatten sich im Endstadium seiner Erkrankung dicht um ihn geschart. Vermutlich hatten sie sich durch Tröpfcheninfektion mit dem Virus infiziert, oder auch durch Berührungen, Speichel oder eine andere Form der unmittelbaren Übertragung. Auch die meisten der übrigen 14 Fälle spiegelten offenbar eine unmittelbare Ansteckung zwischen Menschen wieder. Ein Rikschafahrer aus einem Nachbardorf, der sich nebenbei Geld mit dem Sammeln von Dattelpalmensaft verdiente, erkrankte und wurde von seiner Mutter, seinem Sohn, seiner Tante und einem Nachbarn gepflegt; sie alle wurden ebenfalls krank. Die Tante des Rikschafahrers wurde von einem Schwager gepflegt, einem Mann aus Guholaxmipur, der sie im Krankenhaus besuchte; dieser Schwager war der Religionsführer. Als der Zustand eines anderen infizierten Sektenanhängers sich verschlechterte, wurde er von einem weiteren Rikschafahrer ins Krankenhaus gebracht; dieser Fahrer erkrankte ungefähr zehn Tage später und starb … und so weiter.
Nipah kam nicht vom Himmel wie ein göttlicher Fluch oder Flughundscheiße, es verbreitete sich horizontal durch die Gemeinde wie ein Gerücht. Wie allgegenwärtig der Erreger offensichtlich war, bestätigte sich auch durch einen anderen unheimlichen Befund der vereinten Krisenteams. Die Ermittler nahmen Abstriche an der Wand eines Krankenzimmers, in dem man einen der Patienten fünf Wochen zuvor behandelt hatte, und von dem verschmutzten Gestell des Bettes, in dem er gestorben war. Keine dieser Flächen war in der Zwischenzeit gereinigt worden; Bleichmittel und Arbeitskräfte waren knapp. In manchen Abstrichen von der Wand und vom Bettgestell wurde Nipah- RNA nachgewiesen. Das heißt also, Fragmente des Nipah-Virus befanden sich nach fünf Wochen immer noch unsichtbar in dem Krankenzimmer. Für Hygienefachleute ist das ein Fall von Kontamination. Für das Virus ist es eine Gelegenheit.
Ich unterhalte mich auch mit Rasheda Khan, einer medizinischen Anthropologin, die ihr Büro auf dem gleichen Korridor hat wie Emily Gurley. Khan stammt aus Bangladesch, hat dunkle Augen und ein ernstes, professionelles Auftreten. Sie sollte untersuchen, welche kulturellen und sozialen Faktoren sich auf Krankheitsepidemien wie die von Faridpur auswirken. Sie war dort, befragte die Dorfbewohner in ihrer Muttersprache Bangla, sammelte Aussagen über Sitten und Gebräuche, und erfuhr dabei auch, wer wann krank wurde. Sie sprach über asmani bala (den »von Allah verhängten Fluch«) und darüber, wie dieser verhängnisvolle Aberglaube manche Betroffenen davon abgehalten hatte, ein Krankenhaus aufzusuchen. Sie klärte mich über jene kleinen zwischenmenschlichen Verhaltensweisen auf, die für ihr Land charakteristisch sind und für die Krankheitsübertragung von großer Bedeutung sein konnten. »In Bangladesch ist Körperkontakt allgemein üblich«, sagt sie. »Wir umarmen uns und halten uns ständig an den Händen.« Selbst auf
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