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Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
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was überspringen und ein paar Dutzend oder auch hier und da einige Hundert Opfer fordern? Warum? Ist es nicht ein Fehler, sich wegen ein paar wissenschaftlich faszinierender Krankheiten den Kopf zu zerbrechen, von denen manche zwar neu sind, die aber relativ geringe Auswirkungen haben, während die langweiligen alten Krankheiten weiterhin in großer Zahl die Menschheit heimsuchen? Warum sind wir so versessen auf Zoonosen? Warum nehmen wir sie angesichts der gesamten Elendsbilanz überhaupt so ernst?
    Das ist eine berechtigte Frage, aber es gibt darauf stichhaltige Antworten. Manche dieser Antworten sind kompliziert und spekulativ. Andere sind subjektiv. Wieder andere sind objektiv und gnadenlos. AIDS zum Beispiel.
    123 Preston (1994), S. 289
    124 Calisher et al. (2006), S. 536
    125 Calisher et al. (2006), S. 541
    126 Calisher et al. (2006), S. 540
    127 Calisher et al. (2006), S. 539
    128 Towner et al. (2009), S. 2
    129 Leroy et al. (2009), S. 5
    130 Leroy et al. (2009), S. 6
    131 Leroy et al. (2009), S. 5

KAPITEL VIII Schimpansen und der Fluss

85
    Ein Gespenst erhebt sich
    Es gibt viele Ausgangspunkte für eine Darstellung der AIDS -Pandemie, und an den meisten ist die Entstehung der Krankheit durch einen einzigen zoonotischen Übersprung überhaupt kein Thema.
    Ein Beispiel: Im Herbst 1980 fiel dem jungen Immunologen Michael Gottlieb, der als Assistenzprofessor am Klinikum der University of California in Los Angeles tätig war, eine seltsame Häufung von Infektionen bei bestimmten männlichen Patienten auf. Diese Männer – am Ende waren es fünf – lebten aktiv homosexuell und litten ausnahmslos an einer Lungenentzündung, die von einem normalerweise harmlosen, damals als Pneumocystis carinii bezeichneten Pilz verursacht wurde. (Später wurde der Name in Pneumocystis jirovecii geändert.) Diese Mikroorganismen sind allgegenwärtig, und das Immunsystem der Männer hätte sie eigentlich beseitigen müssen. Aber offensichtlich funktionierte ihr Immunsystem nicht, und der Pilz machte sich in ihrer Lunge breit. Alle Männer litten auch an einer anderen Pilzinfektion: einer Candidiasis der Mundhöhle, das heißt, der ganze Mund war mit der schleimigen Hefe Candida besiedelt, die man sonst eher bei neugeborenen Babys, Diabetikern und Menschen mit beeinträchtigter Immunfunktion beobachtet, nicht aber bei gesunden Erwachsenen. Die Blutuntersuchung ergab bei mehreren Patienten einen dramatischen Rückgang der Zahl bestimmter Lymphocyten (weißer Blutzellen), die für die Steuerung der Immunantwort von zentraler Bedeutung sind. Genauer gesagt, handelte es sich um die Thymus-abhängigen Lymphocyten (kurz T-Zellen genannt), deren Zahl »stark vermindert« 132 war. Gottlieb fielen zwar noch einige andere Symptome auf, im Vordergrund standen aber drei: die Pneumocystis -Lungenentzündung, die Candida -Infektion der Mundhöhle und der Mangel an T-Zellen. Mitte Mai 1981 beschrieben er und ein Kollege ihre Beobachtungen in einem kurzen Fachartikel. Spekulationen über die Ursachen stellten sie nicht an. Sie erkannten in der Verteilung nur einen merkwürdigen Trend und hielten eine schnelle Veröffentlichung für angebracht. Die Redaktion des New England Journal of Medicine zeigte sich interessiert, kündigte aber eine Vorlaufzeit von mindestens drei Monaten an.
    Deshalb wandte sich Gottlieb an Morbidity and Mortality Weekly Report , das Mitteilungsblatt der CDC . Dort erschien sein nüchterner, noch nicht einmal zwei Seiten langer Text am 5. Juni 1981 unter der trockenen Überschrift » Pneumocystis Pneumonia – Los Angeles«. Es war die erste medizinische Warnung vor einem Krankheitsbild, das noch nicht einmal einen Namen hatte.
    Die zweite Warnung tauchte einen Monat später auf, wiederum im Mitteilungsblatt der CDC . Waren Gottlieb die Pneumocystis -Lungenentzündung und die Candidiasis aufgefallen, so bemerkte der New Yorker Hautarzt Alvin E. Friedman-Kien eine parallele Entwicklung bei einer anderen Krankheit: dem Kaposi-Sarkom. Diese seltene, in der Regel nicht allzu aggressive Krebsform kannte man vorwiegend als Erkrankung von Männern mittleren Alters, die aus dem Mittelmeerraum stammten. Die Erkrankung äußerte sich häufig in Form dunkelroter Knötchen auf der Haut. Friedman-Kien und weitere Kollegen hatten jetzt aber 26 Fälle des Kaposi-Sarkoms bei jüngeren homosexuellen Männern diagnostiziert. Einige dieser Patienten litten auch an der Pneumocystis -Lungenentzündung. Acht von ihnen starben. Der Kurzbericht

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