Spillover
dort nahmen die Kunden sie zum Abendessen mit nach Hause.
Ein Mann, der regelmäßig aus seinem Dorf zu dem Markt ging und häufig Flughunde kaufte (aber nicht selbst jagte), hatte offensichtlich eine milde Ebola-Erkrankung durchgemacht. Ihn bezeichneten die Wissenschaftler am Ende als Patient C. Wie er ihnen erzählte, hatte er Ende Mai oder Anfang Juni an einigen geringfügigen Symptomen, vorwiegend Fieber und Kopfschmerzen, gelitten. Er wurde wieder gesund, aber damit war die Sache nicht zu Ende. »Patient C war Vater eines vierjährigen Mädchens (Patient B)«, berichteten Leroy und seine Kollegen später. »Das Mädchen wurde am 12. Juni plötzlich krank und starb am 16. Juni 2007, nachdem es zuvor an Erbrechen, Durchfall und hohem Fieber gelitten hatte.« 129 Blutungen hatte das kleine Mädchen nicht, und es wurde auch nie ein Test auf Ebola vorgenommen, aber dies ist die plausibelste Diagnose.
Wie hatte es sich die Krankheit zugezogen? Möglicherweise hatte es mitgegessen, als ein Flughund verzehrt wurde, der das Virus trug. Wie groß ist die Gefahr für jemanden, der die Flughunde isst? Das ist schwer zu sagen, selbst Vermutungen sind schwierig. Angenommen, der Hammerkopf-Flughund ist tatsächlich ein Reservoirwirt für Ebola: Wie stark ist das Virus in einer bestimmten Population verbreitet? Das ist eine weitere Unbekannte. Towner stellte bei Nil-Flughunden eine Verbreitung des Marburgvirus von fünf Prozent fest, das heißt, möglicherweise war jedes 20. Tier infiziert. Unterstellt man für die Hammerkopf-Flughunde eine ähnlich hohe Verbreitung, hätte die Familie des kleinen Mädchens nicht nur Hunger, sondern auch Pech gehabt. Sie hätten 19 andere Flughunde essen können, ohne mit dem Erreger in Kontakt zu kommen. Dann aber muss man fragen: Wenn der Flughund gemeinsam verzehrt wurde, warum erkrankten dann die Mutter des Mädchens und andere Familienangehörige nicht? Vielleicht hatte der Vater, der sich nach dem Kauf der Flughunde auf dem Markt infiziert oder mit Erregern beschmiert hatte, das kleine Mädchen auch auf dem Nachhauseweg getragen (was die Bewohner in der Region mit kleinen Kindern häufig tun). Der Vater – Patient C – übertrug das Virus jedenfalls sonst offenbar auf niemanden.
Aber seine kleine Tochter gab es weiter. Ihre Leiche wurde, wie es der örtlichen Tradition entsprach, von einer engen Freundin der Familie für die Bestattung gewaschen. Diese Freundin war die erwähnte 55-jährige Frau, die zu Patient A wurde.
»Es könnte also zur Virusübertragung gekommen sein, als Patient A den Leichnam für die Bestattungszeremonie vorbereitete«, schrieb Leroys Arbeitsgruppe. »Bei der Befragung berichteten die Mutter und die Großmutter des Mädchens, die ebenfalls an der Vorbereitung mitgewirkt hatten, sie hätten keinen unmittelbaren Kontakt mit dem Leichnam gehabt, und bei ihnen stellten sich auch in den folgenden vier Wochen keinerlei klinische Anzeichen einer Infektion ein.« 130 Offensichtlich hatten sie bei der rituellen Waschung nur eine Beobachterrolle. Sie berührten den toten Körper der Tochter beziehungsweise Enkeltochter nicht. Patient A dagegen tat dies und verrichtete zuverlässig den Dienst für die eng befreundete Familie; danach kehrte sie in ihren Alltag zurück und starb bald darauf. Bis dahin hatte sie über ihre sozialen Kontakte 183 weitere Personen mit Ebola angesteckt, die ebenfalls starben.
Leroys Team rekonstruierte diese Geschichte, und die Wissenschaftler zerbrachen sich den Kopf darüber, was die Ergebnisse genau bedeuteten. Warum hatte der Vater seine Tochter angesteckt, aber sonst niemanden? Vielleicht war er nur leicht erkrankt, das heißt, in seinem Organismus war nur eine geringe Viruskonzentration vorhanden und nur wenige Erreger gelangten nach außen. Aber wenn er ein leichter Fall war, warum erkrankte seine Tochter dann so schwer, dass sie innerhalb von vier Tagen starb? Vielleicht war sie – ein kleines Kind, das an Erbrechen und Durchfall litt – an einem nicht behandelten Flüssigkeitsverlust gestorben. Warum hatte nur ein einziges Übersprungereignis von einem Flughund zu einem Menschen stattgefunden? Warum war Patient C der einzige Fall, der in unmittelbarer Beziehung zum Reservoirwirt stand? Nun, vielleicht war das nicht der Fall. Er war nur der einzige, der den Wissenschaftlern auffiel. »Eigentlich ist es sehr wahrscheinlich, dass auch mehrere andere Personen von den Flughunden infiziert wurden«, schrieb Leroys Gruppe, »aber die
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