Spillover
notwendigen Voraussetzungen für eine nachfolgende Übertragung von Mensch zu Mensch waren nicht gegeben.« 131 Damit meinten sie, dass die Infektion in eine Sackgasse geraten war: Ein Mensch erkrankt, leidet einsam oder im Kreis von Angehörigen und Freunden, die aber vorsichtig Abstand halten (wobei Lebensmittel und Wasser an der Tür der Hütte abgestellt werden), und stirbt schließlich. Die Bestattung erfolgt ohne besondere Zeremonie. Eric Leroy wusste nicht, wie viele unglückselige Menschen in der Region von Luebo einen Flughund angefasst oder gegessen und sich mit Ebola infiziert hatten, daran gestorben waren und dann verscharrt wurden, ohne die Infektion weiterzugeben. Angesichts der entsetzlichen Verwirrung, die in den abgelegenen Dörfern während der Epidemie herrschte, könnte es eine beträchtliche Zahl solcher Sackgassenfälle gegeben haben.
Damit war Leroys Team bei der entscheidenden Frage. Wenn die Voraussetzungen für eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht gegeben waren, wie sahen diese Voraussetzungen dann aus? Warum hatte die Epidemie von Luebo keine riesigen Ausmaße angenommen? Immerhin hatte alles bereits im Mai begonnen, und die WHO war erst im Oktober vor Ort.
83
Beta und der Nebel
Der springende Punkt ist die Übertragung von Mensch zu Mensch. Sie bedeutet den Unterschied zwischen einer entsetzlichen, örtlich begrenzten, vorübergehenden, rätselhaften Krankheit (beispielsweise Ebola) und einer globalen Pandemie. Erinnern wir uns an die einfache Gleichung, mit der Roy Anderson und Robert May die Dynamik einer sich ausbreitenden Epidemie beschreiben:
R 0 = β N /( α + b + ν )
Darin ist β die Übertragungsrate. Der griechische Buchstabe Beta steht als Multiplikator im Zähler des Bruches. Das bedeutet: Große Veränderungen von β ziehen große Veränderungen von R 0 nach sich. Und R 0 , das haben wir noch im Gedächtnis, sagt etwas darüber aus, ob es zum Ausbruch einer Epidemie kommt.
Manche zoonotischen Krankheitserreger sind offenbar von Anfang an unter Menschen leicht übertragbar und damit zufällig von vornherein gut an die Ausbreitung in einer menschlichen Population angepasst, obwohl sie eine lange Vergangenheit in einer anderen Wirtsspezies hinter sich haben. Zum Beispiel SARS - C o V und sein erster Auftritt in Guangdong und Honkong in den Jahren 2002/2003. SARS - C o V besitzt diese Fähigkeit, ganz gleich, wo oder warum es sich seither versteckt. Das Hendra-Virus besitzt sie nicht. Hendra wird reibungslos unter Pferden übertragen, aber nicht unter Menschen. Natürlich kann ein Erreger die betreffende Fähigkeit auch durch Mutation und Anpassung innerhalb menschlicher Wirte erwerben . Im Zusammenhang mit der Vogelgrippe, dem Influenza-Stamm H5N1, reden Experten seit 15 Jahren ständig davon. Die Vogelgrippe macht ihnen große Sorgen, obwohl sie bisher nicht allzu viele Todesfälle unter Menschen verursacht hat. Die Schweinegrippe (verursacht durch den Stamm H1N1) kommt und geht in der Bevölkerung in regelmäßigen Abständen (so auch im Jahr 2009); sie verursacht manchmal eine schlimme Pandemie, in anderen Fällen (wie 2009) wird es nicht so schlimm, wie man erwartet hatte. Die Vogelgrippe jedoch gehört zu einer ganz anderen Bedrohungskategorie. Sie macht den Grippespezialisten Sorgen, weil sie wissen, dass die H5N1-Influenza erstens bei Menschen extrem virulent ist und unter den relativ wenigen Erkrankten eine hohe Zahl von Todesopfern fordert, und zweitens weil sie von Mensch zu Mensch bisher nur schlecht übertragen wird. Wer sich ansteckt, stirbt mit hoher Wahrscheinlichkeit, aber wahrscheinlich steckt man sich nicht an, es sei denn, man zerlegt ein infiziertes Huhn. Die meisten Menschen zerlegen ihre Hühner nicht selbst, und die Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt bemühen sich mit Nachdruck darum, dass die Hühner, mit denen wir es zu tun bekommen – tot, zerlegt, in Plastik oder auf andere Weise verpackt –, nicht infiziert sind. Aber wenn H5N1 mutiert oder sich auf geeignete Weise neu zusammensetzt und sich damit an die Übertragung von Mensch zu Mensch anpasst, könnte es zu der größten und schnellsten tödlichen Seuche seit 1918 werden.
Wie erwirbt ein Krankheitserreger eine solche Anpassung? Die Entstehung genetischer Variationen (durch Mutation oder auf anderen Wegen) ist ein Zufallsprozess. Ein Würfelspiel. Aber eine große Zahl von Gelegenheiten steigert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Virus die »richtige Zahl wirft«, das heißt,
Weitere Kostenlose Bücher