Spillover
Nein, erwidert Thony, noch nie.
7 Georges et al. (1999), S. 70
Aber inmitten des Chaos und Entsetzens im Dorf hatten er und Sophiano noch etwas Bizarres beobachtet: Im Wald, ganz in der Nähe, lagen 13 Gorillas auf einem Haufen, alle tot. Das erzählt er von sich aus. Nach toten Wildtieren habe ich nicht gefragt. Natürlich sind Einzelfallberichte in der Regel schillernd, ungenau, manchmal auch falsch, und das selbst dann, wenn sie von Augenzeugen stammen. Menschen lagen im Sterben. Erinnerungen verwischen sich. Doch ich glaubte ihm, dass er die toten Gorillas gesehen hatte, dass es ungefähr 13 waren und dass sie vielleicht nicht auf einem Haufen, aber nebeneinander gelegen hatten; vielleicht hatte er sie sogar gezählt. Das Bild von 13 im Laub verstreuten Gorillakadavern war entsetzlich, aber plausibel. Später stellte sich heraus, dass Gorillas höchst anfällig für Ebola sind.
Das Gegenstück zu solchen Einzelfallberichten sind wissenschaftliche Daten. Sie kommen ohne schillernde Details, poetische Ausschmückungen und fantasievolle Interpretationen daher. Sie sind genau definiert, quantifizierbar, handfest. Penibel gesammelt und systematisch geordnet, können sie neue Erkenntnisse liefern. Das war der Grund, warum Mike Fay mit seinen gelben Notizbüchern durch Zentralafrika wanderte: Er suchte nach großen Gesetzmäßigkeiten, die sich aus der Masse kleiner Daten herauskristallisieren könnten.
Am nächsten Tag setzten wir unsere Wanderung durch den Wald fort. Immer noch waren wir mehr als eine Woche von der nächsten Straße entfernt. Es war ein großartiger Lebensraum für Gorillas, gut strukturiert, reich an ihren Lieblingsfutterpflanzen und von Menschen nahezu unberührt: keine Pfade, keine Lager, keine Spur von Jägern. Die Gegend hätte voller Gorillas sein müssen. Und vor nicht allzu langer Zeit war das auch so gewesen: Eine Zählung der Menschenaffenpopulationen in Gabun, die zwei Wissenschaftler des CIRMF zwanzig Jahre zuvor vorgenommen hatten, war allein für das Waldgebiet von Minkébé auf mindestens 4171 Gorillas gekommen. Dennoch sahen wir während der Wochen, in denen wir uns durch den Busch kämpften, keinen einzigen. Dass Gorillas und ihre Spuren fehlten, war seltsam – so seltsam, dass Fay es geradezu für dramatisch hielt. Genau solche – positiven oder negativen – Gesetzmäßigkeiten wollte er mit seinen Methoden ans Licht bringen. Während seines gesamten Megatransect-Projekts vermerkte er in seinen Notizbüchern jedes Gorillanest, das er sah, jeden Haufen Gorilladung, jeden Baumstamm, an dem Gorillazähne genagt hatten – ebenso wie er Elefantendung, Leopardenfährten und ähnliche Spuren anderer Tiere festhielt. Am Ende unserer Etappe durch Mikébé stellte er seine Daten zusammen. Dazu verbarrikadierte er sich ein paar Stunden in seinem Zelt und gab die neueste Ernte seiner Beobachtungen in sein Laptop ein. Dann kam er wieder heraus.
Nach seinen Befunden waren wir in den letzten 14 Tagen auf 997 Dunghaufen von Elefanten gestoßen, aber in keinem einzigen Fall hatten wir Gorillaexkremente gefunden. Wir waren an Millionen Stängeln großer, krautiger Pflanzen vorübergekommen, darunter einige Arten (aus der Familie Marantaceae ), deren nahrhaftes Mark die Gorillas für ihr Leben gern fressen; aber soweit er bemerkt hatte, trug kein einziger dieser Stängel die Spuren von Gorillazähnen. Wir hatten in null Fällen das Imponiergehabe von Gorillas gehört, die sich auf die Brust klopfen, und null Gorillanester gesehen. Es war wie bei der merkwürdigen Geschichte mit dem Hund in der Nacht – ein Kläffer, dessen Schweigen Sherlock Holmes den beredten Hinweis lieferte, dass etwas nicht stimmte. Die einst in so großer Zahl vorhandenen Gorillas von Minkébé waren verschwunden. Der unausweichliche Schluss lautete also: Sie waren an irgendetwas gestorben.
9
Puzzlesteine
Der Spillover von Mayibout 2 war kein Einzelfall. Er gehörte zu einem Mosaik von Krankheitsausbrüchen in ganz Zentralafrika – einem Muster, dessen Bedeutung noch heute rätselhaft und umstritten ist. Die fragliche Krankheit, früher »hämorrhagisches Ebolafieber« genannt, heißt heute einfach »Ebola-Viruserkrankung«. Das Muster erstreckt sich von 1976 (dem ersten belegten Auftauchen des Ebolavirus) bis in die Gegenwart und von einer Seite des Kontinents (C Ô te d ’Ivoire) bis zur anderen (Sudan und Uganda). Die vier Hauptabstammungslinien des Virus, die sich während dieser Ereignisse bemerkbar machten,
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