Spillover
gebissen.
Es war kein schlimmer Biss, nur ein kleiner Kratzer an der linken Hand. Brebner strich erst Iod und dann Alkohol auf die Wunde, anschließend arbeitete er weiter. Der Affe wirkte gesund, und Brebner war offenbar nicht beunruhigt. Wenig später starb der Affe während eines anderen Experiments unter Äthernarkose; eine Nekropsie wurde nicht vorgenommen.
Nach drei Tagen bemerkte Brebner an der Bissstelle »Schmerzen, Rötungen und eine geringfügige Schwellung«. 101 Nochmals drei Tage später wurde er ins Bellevue Hospital aufgenommen. Seine Symptome entwickelten sich langsam – berührungsempfindliche Lymphknoten, Bauchkrämpfe, Lähmungserscheinungen in den Beinen, Harnverhalt, Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Armen, schließlich hohes Fieber und ständiger Schluckauf. Nach zwei Wochen war er schwer krank. Das Atmen fiel ihm schwer, und er wurde blau. Im Beatmungsgerät bekam er Krämpfe und verlor das Bewusstsein. Aus Mund und Nasenöffnungen quoll eine schaumige Flüssigkeit. Fünf Stunden später war William Brebner tot. Er wurde nur 29 Jahre alt.
Woran war er gestorben? An Kinderlähmung? An Tollwut? Ein Wissenschaftlerkollege aus dem gleichen Institut der Universität New York, der gerade erst das Medizinstudium abgeschlossen hatte, aber intelligent und ehrgeizig war, assistierte bei der Obduktion und stellte dann mit Proben von Brebners Gehirn, Rückenmark, Lymphknoten und Milz weitere Untersuchungen an. Dieser Mann war Albert B. Sabin, der Jahrzehnte später als Mitentwickler der Polio-Schluckimpfung berühmt werden sollte. Sabin und ein Kollege spritzten Affen eine Emulsion aus Brebners Gehirn; die gleiche Substanz injizierten sie auch Mäusen, Meerschweinchen und Hunden. Keines dieser Tiere zeigte die Symptome, an denen Brebner gelitten hatte. Bei Kaninchen dagegen, die ebenfalls die Spritze erhalten hatten, traten sie auf. Die Beine wurden schlaff, sie starben an Atemversagen, Milz und Leber waren geschädigt. Aus den Kaninchen gewannen Sabin und sein Partner eine Flüssigkeit, die – filtriert – wieder die gleiche Infektion in Gang setzen konnte. Sie bezeichneten den Erreger nach Brebner einfach als »B-Virus«. 102 In weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass es sich um ein Herpesvirus handelte.
Herpes B ist bei Menschen eine sehr seltene, aber auch sehr unangenehme Infektion: Bei den wenigen Dutzend Menschen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts (und vor der bahnbrechenden Entwicklung virushemmender Arzneiwirkstoffe) ansteckten, lag die Sterblichkeit bei 70 Prozent, danach betrug sie immer noch 50 Prozent. Wer an der Infektion nicht stirbt, behält häufig dauerhafte Nervenschäden zurück. Sie stellt ein Berufsrisiko für Wissenschaftler und technische Assistenten dar, die im Labor mit Makaken arbeiten. Unter den Makaken selbst ist das Virus weit verbreitet, aber nur in geringem Umfang lästig. Es nistet sich in den Nervenganglien ein und tritt hin und wieder zu Tage; dann verursacht es im oder um den Mund der Affen herum kleine Hautschäden, ganz ähnlich wie das Herpes-simplex-Virus, das beim Menschen die Erkältungsbläschen entstehen lässt. Die Bläschen bei den Affen kommen und gehen. Auf Menschen dagegen hat Herpes B eine ganz andere Wirkung. In den Jahrzehnten seit Brebners Tod wurden bei Menschen insgesamt 42 weitere Fälle diagnostiziert; betroffen waren Wissenschaftler, Laborassistenten oder andere Personen, die mit Tieren hantieren und mit gefangenen Makaken in Kontakt gekommen waren.
Die Zahl der Fälle unter Menschen stieg in den 1950er Jahren, als man in der Forschung unter Hochdruck auf einen Impfstoff gegen Kinderlähmung hinarbeitete, stark an – vermutlich weil im Rahmen dieser Arbeiten auch immer mehr Rhesusaffen als Versuchstiere dienten. Zwischen 1949 und 1951 wurden für ein einziges Projekt, das im Rahmen des Vorhabens der National Foundation for Infantile Paralysis (»Nationale Stiftung für Kinderlähmung«) finanziert wurde, 17000 Affen verbraucht. Wie viele Makaken allein in den Labors von Albert Sabin und Jonas Salk ihr Leben ließen, weiß niemand, von anderen wissenschaftlichen Einrichtungen ganz zu schweigen. Jedenfalls erreichte die Häufigkeit der Herpes-B-Infektionen in den Jahren 1957 /58 während der Jagd nach dem Polio-Impfstoff ihren Höhepunkt. Die meisten Fälle gab es in den Vereinigten Staaten, die übrigen in Kanada und Großbritannien.
Danach nahm die Zahl der Zufallsinfektionen ab, vermutlich weil in den Labors bessere
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