Spillover
Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden – das Personal trug jetzt Handschuhe und Masken, und die Affen wurden mit Medikamenten ruhiggestellt, bevor man sie anfasste. In den 1980er Jahren ging die Zahl der Herpes-B-Infektionen jedoch noch einmal ein wenig in die Höhe, als der Verbrauch von Makaken – dieses Mal für die AIDS -Forschung – wieder anstieg.
Der bisher letzte Fall trat Ende 1997 am Yerkes National Primate Research Center in Atlanta auf. Am 29. Oktober bekam eine junge Frau, die mit Affen arbeitete, einen Spritzer Körperflüssigkeit eines Rhesusaffen ins Auge. Ob es sich um Urin, Kot oder Speichel gehandelt hat, weiß offenbar niemand. Sie wischte sich mit einem Papiertuch ab, arbeitete dann weiter und hatte erst später Zeit, sich das Auge kurz mit Wasser auszuspülen. Zehn Tage später war das Auge rot und geschwollen. Sie begab sich in die Notaufnahme, wo der Dienst habende Arzt ihr antibiotikahaltige Augentropfen verschrieb. Als die Augenentzündung sich verschlimmerte, ging sie zum Augenarzt. Weitere Tage verstrichen, ein anderer Augenarzt untersuchte sie, und schließlich wurde sie mit Verdacht auf Herpes B ins Krankenhaus überwiesen. Jetzt gab man ihr starke virushemmende Medikamente. Irgendwann schien es der jungen Frau besser zu gehen, und sie wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Als sie aber am nächsten Morgen aufwachte, waren die Symptome – Bauchschmerzen, Harnverhalt, Schwäche im rechten Fuß – wieder schlimmer, und sie ging zurück. Am Monatsende bekam sie Krampfanfälle, dann kam eine Lungenentzündung hinzu. Am 10. Dezember 1997 starb sie an Atemversagen.
Nach diesem bedauerlichen Todesfall wurden manche Leute nervös. Die Wahrscheinlichkeit einer speziesübergreifenden Übertragung war vielleicht gering – unter normalen Umständen sogar sehr gering –, aber sie konnte schlimme Folgen haben. Einige Jahre später wurden elf Rhesusaffen in einem englischen »Safaripark« positiv auf Herpes-B-Antikörper getestet. Die Verwaltung des Parks entschloss sich, die gesamte Kolonie zu töten. Begünstigt wurde diese Entscheidung dadurch, dass das britische Advisory Committee on Dangerous Pathogens das Herpes-B-Virus kurz zuvor in die biologische Gefahrenklasse 4 eingeordnet hatte, also in die hochrangige Gesellschaft von Ebola, Marburg und des Virus, das für das hämorrhagische Krim-Kongo-Fieber verantwortlich ist. Die gesetzlichen Vorschriften besagten, dass Tiere, die mit einem Erreger der Gefahrenklasse 4 infiziert waren, entweder in einem B4-Labor gehalten werden mussten (das heißt mit Schutzanzügen, dreifachen Handschuhen, luftdichten Türen und allem anderen, was in einer Einrichtung, in der Touristen wilde Tiere sehen sollen, nicht praktikabel ist) oder zu töten waren. Natürlich bedeutete ein positives Ergebnis im Antikörpertest nur, dass diese elf Affen irgendwann einmal Kontakt mit dem Virus hatten, aber nicht, dass sie derzeit infiziert waren oder gar Herpes B abgaben. Aber solche wissenschaftlichen Unterscheidungen konnten die Tötung nicht aufhalten. Bezahlte Schützen töteten in dem Safaripark an einem einzigen Tag alle 215 Tiere. Zwei Tage später folgte ein weiterer Tierpark in einem ländlichen Gebiet Englands: Auch dort wurden 100 Makaken getötet, nachdem einige Tiere sich im Test auf Herpes-B-Antikörper als positiv erwiesen hatten. Gesetz war Gesetz, und die Makaken (infiziert oder nicht) waren jetzt schlecht fürs Geschäft. Eine sinnvollere Frage warfen Primatenforscher auf, die solche Tötungsaktionen für grotesk und unnötig hielten: Gehört Herpes B eigentlich in die Gefahrenklasse 4? Es spricht einiges dafür, dass dies nicht der Fall ist.
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Im Affenwald
Rhesusaffen sind nicht die einzige Affenart, die Herpes B in sich trägt. Das gleiche Virus hat man auch bei anderen asiatischen Affenarten gefunden, so bei Javaneraffen ( Macaca fascicularis ) in deren natürlichem Verbreitungsgebiet in Indonesien. Soweit man weiß, wurde die Herpes-B-Infektion in freier Wildbahn jedoch weder von Rhesus- noch von anderen Affen auf Menschen übertragen, nicht einmal in Situationen, in denen die Affen engen Kontakt mit Menschen hatten. Dies lässt sich nicht ohne weiteres erklären, denn die Gelegenheiten waren offenbar gegeben. Sowohl Rhesus- als auch Javaneraffen sind Opportunisten – vor Menschen und ihrer Umwelt haben sie kaum Angst. Als die Vorhut der Menschen sie mit Kettensägen und Macheten aus ihren angestammten Lebensräumen in den Wäldern Indiens,
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