Spillover
niederschmetternd: Bei 100 Prozent der ausgewachsenen Javaneraffen wurden Herpes-B-Antikörper gefunden. Mit anderen Worten: Sämtliche erwachsenen Tiere hatten entweder früher einmal das Virus in sich getragen oder trugen es immer noch (was wahrscheinlicher war, denn Herpesviren können langfristig latent bleiben). Unter den Jungtieren war der Anteil geringer, vermutlich weil sie virusfrei auf die Welt kommen und sich den Erreger erst später durch die sozialen Beziehungen zu den ausgewachsenen Tieren zuziehen.
Demgegenüber stand die Reihenuntersuchung der Menschen, mit der festgestellt werden sollte, welche Gelegenheiten zum Übersprung auf eine andere Art das Virus gehabt hatte. Wie die Arbeitsgruppe ermittelte, war mindestens ein Drittel der Ladenbesitzer, Fotografen und sonstigen Einheimischen wenigstens einmal von einem Makaken gebissen worden. Fast 40 Prozent hatten Kratzer abbekommen. Einige waren auch mehrmals gebissen oder gekratzt worden.
Die Untersuchung konzentrierte sich auf die Einheimischen – es wurde nicht versucht, Bisse und Kratzer bei den Touristen zu zählen, die kommen und gehen. Die Wissenschaftler schätzten nur, es müsse jedes Jahr Tausende von Touristen geben, die Sangeh mit einem Affenbiss verlassen – und Sangeh ist auf Bali nur einer von mehreren solchen Affentempeln. Man möchte also meinen, die Wahrscheinlichkeit, sich hier Herpes B zuzuziehen, sei ungeheuer groß.
Und doch ist es, soweit man weiß, nicht geschehen. Engel, Jones-Engel und ihre Koautoren schreiben, aus Bali sei über »keinen Fall« einer Infektion von Menschen mit dem Virus »weder im Zusammenhang mit den Affenwäldern noch in einem anderen Zusammenhang außerhalb des Labors« berichtet worden. 103 Tausende von Bissen, Tausende von Kratzern, Tausende von Gelegenheiten und null Fälle (oder jedenfalls null Berichte über Fälle) von Menschen, die an Herpes B erkrankt wären. Wer das nicht für ein gespenstisches Rätsel, sondern für eine gute Nachricht hält, ist optimistischer als ich. Weil mich diese Merkwürdigkeit nicht losließ, nachdem ich den Artikel gelesen hatte, wollte ich im persönlichen Gespräch mehr erfahren.
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Vorbereitung zur Affenjagd
Ich bin nach Bangladesch gereist, um Lisa Jones-Engel und Gregory Engel zu treffen und dabei zu helfen, in einem Schrein im Nordosten des Landes Affen einzufangen.
Wir fahren in eine Stadt namens Sylhet. Sie liegt am Ufer des Flusses Surma in einer Region, in der das Tiefland von Bangladesch langsam in eine Hügellandschaft übergeht. Die Hügel wachsen weiter nördlich zu einem Gebirge heran, hinter dem Assam, Bhutan und Tibet liegen. Sylhet ist eine Distrikthauptstadt mit einer halben Million menschlicher Bewohner und einer unbekannten Zahl anderer Primaten. In ihren Straßen tobt der Verkehr, Hunderte von grünen, mit Erdgas betriebenen Motorradtaxis und Tausende von grellbunt verzierten Fahrradrikschas, betrieben von ausgemergelten Männern mit mageren braunen Beinen, rangeln um die beste Position neben überfüllten Bussen und dahinkriechenden Autos. Frühmorgens rollen auch zweirädrige Handkarren durch die Straßen und transportieren Gemüse zum Markt. An größeren Kreuzungen erheben sich Einkaufszentren und Hotels der gehobenen Klasse hinter glitzernden Glasfassaden. Es ist eine blühende Stadt, eine der reichsten in diesem armen Land, vor allem dank der Investitionen und des Konsums von Immigrantenfamilien, die hier ihre Wurzeln haben und in Großbritannien zu Wohlstand gekommen sind. Eine weitere Stütze der lokalen Wirtschaft ist der Religionstourismus. Es gibt eine ganze Menge Schreine, und die locken nicht nur Pilger aus ganz Bangladesch an – auch wir sind ihretwegen hier.
An unserem ersten Nachmittag in Sylhet erkunden wir eine heilige Stätte namens Chashnipeer Majar. Sie besteht aus einem kleinen Kuppelgebäude auf einem Hügel, der sich über einem dicht besiedelten Wohnviertel erhebt und von Betonmauern, kleinen Läden, fensterlosen Hausfassaden und gewundenen Gassen umgeben ist. Eine lange Treppe führt uns hinauf zum Schrein, über dem sich fünf oder sechs zerzauste Bäume erheben. Auf den Abhängen des Hügels verteilen sich struppiges Gesträuch, Müll und die Gräber der Vorfahren von Sylhet. Eine grüne Oase ist sie nicht, diese kleine Insel aus heiligem Boden inmitten städtischer Wohnviertel, aber den Tieren, die hier leben, macht das offenbar nichts aus. Makaken sitzen auf dem Dach des Schreins, Makaken sitzen auf den Bäumen,
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