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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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zwar nicht vertraut, werde aber in seinen Archiven nach Informationen suchen.
    Ich dankte ihm, wandte allerdings zugleich ein, dass er kein Arzt und die marsianische Physiologie überaus ungewöhnlich sei. Selbst wenn er eine geeignete Therapie finden würde – würde sie auch bei Jason wirken?
    »Wir sind nicht so verschieden, wie Sie vielleicht glauben. Eine der ersten Maßnahmen, die Ihre Leute ergriffen haben, bestand darin, meine Genomsequenz zu entschlüsseln. Sie ist von Ihrer nicht zu unterscheiden.«
    »Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu kränken.«
    »Ich bin nicht gekränkt. Hunderttausend Jahre sind eine lange Zeit der Separation, lang genug für das, was die Biologen als Artbildung bezeichnen. Und doch sind unsere beiden Populationen, Ihre und meine, untereinander uneingeschränkt fortpflanzungsfähig. Die auffälligen Unterschiede zwischen uns sind nur oberflächliche Anpassungen an kältere, trockenere Lebensbedingungen.« Er sprach mit einer Autorität, die seiner Statur widersprach. Seine Stimme war höher als die eines durchschnittlichen Erwachsenen, hatte jedoch nichts Jugendliches an sich; ein singender, fast femininer Tonfall, der zugleich immer staatsmännisch klang.
    »Dennoch würden wir es unter Umständen mit rechtlichen Problemen zu tun bekommen, falls es um eine Therapie geht, die nicht die einschlägigen Genehmigungsverfahren durchlaufen hat.«
    »Ich bin sicher, Jason wäre bereit, auf die offizielle Anerkennung zu warten. Seine Krankheit ist allerdings womöglich weniger geduldig.« Wun hob die Hand, um weiteren Einwänden zuvorzukommen. »Lassen Sie mich erst einmal lesen, was Sie mir gebracht haben. Dann sprechen wir weiter.«
    Daraufhin bat er mich, noch ein wenig zu bleiben und zu plaudern. Ich fühlte mich geschmeichelt. Ungeachtet seiner fremdartigen Erscheinung hatte Wuns Präsenz etwas Beruhigendes, eine auf sein Gegenüber ausstrahlende Entspanntheit. Er lehnte sich in seinem Rattansessel zurück, ließ die Füße baumeln und hörte sich mit augenscheinlicher Faszination einen kurzen Abriss meines Lebens an. Er stellte einige Fragen über Diane – »Jason erzählt nicht viel von seiner Familie« – und über die medizinische Ausbildung – das Konzept der Sektion von Leichen war ihm neu; er zuckte zusammen, als ich den Vorgang beschrieb.
    Dann, als ich ihn meinerseits über sein Leben befragte, griff er in den kleinen grauen Ranzen, den er bei sich trug, und zog eine Reihe vom Ausdrucken hervor, Fotografien, die er als Digitaldateien mit auf seine Reise genommen hatte. Vier Bilder vom Mars.
    »Nur vier?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Keine Zahl wäre groß genug, die Erinnerungen zu ersetzen. Und natürlich befindet sich noch viel mehr Bildmaterial in den offiziellen Archiven. Dies hier sind meine Bilder. Meine persönlichen. Möchten Sie sie sehen?«
    »Ja, natürlich.«
    Er reichte sie mir.
    Foto 1: Ein Haus. Offensichtlich, trotz der seltsamen Techno/Retro-Architektur, eine menschliche Wohnstatt, niedrig und rund, wie das Porzellanmodell einer Grashütte. Der Himmel dahinter war strahlend türkisfarben, jedenfalls hatte der Drucker ihn so wiedergegeben. Der Horizont war seltsam nahe, aber geometrisch flach, unterteilt in immer kleiner werdende Rechtecke von Anbaufeldern. Die Feldfrucht konnte ich nicht identifizieren, doch sie war zu fleischig, als dass es Weizen oder Mais sein konnte, und zu groß für Feldsalat oder Grünkohl. Im Vordergrund standen zwei erwachsene Marsianer, Mann und Frau, mit komisch ernsten Gesichtern. Marsianische Gotik. Fehlte nur noch eine Heugabel und die Signatur von Grant Wood. »Meine Mutter und mein Vater«, sagte Wun schlicht.
    Foto 2: »Ich als Kind.« Dieses Bild war verblüffend. Die faltige Haut der Marsianer entwickelt sich, wie Wun erläuterte, in der Pubertät. Im Alter von ungefähr sieben terrestrischen Jahren hatte Wun ein glattes, lächelndes Gesicht. Er sah aus wie ein normales Erdenkind, wenn man auch die ethnische Zugehörigkeit nicht so recht hätte zuordnen können – blonde Haare, kaffeebraune Haut, schmale Nase und großzügige Lippen. Das Ambiente, in dem er posierte, sah aus wie ein exzentrischer Themenpark, war jedoch, so Wun, eine marsianische Stadt. Ein Marktplatz. Läden und Lebensmittelstände, die Gebäude aus dem gleichen porzellanartigen Material wie das Farmhaus, in knalligen Primärfarben. Auf der Straße hinter ihm drängte sich der Verkehr auf zwei Rädern und zu Fuß. Nur ein schmaler Himmelsstreifen war

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