Spin
hören: das Geräusch von schweren Motoren und gequältem Metall und in Abständen das Donnern tonnenschwerer Frachtcontainer in Bewegung. »Hab schon unter schlimmeren Bedingungen geschlafen«, sagte ich.
»Das bezweifle ich, aber es ist nett, dass Sie es sagen.«
Zunächst schlief keiner von uns. Stattdessen saßen wir beim Schein der Schreibtischlampe und unterhielten uns sporadisch. Ina fragte nach Jason. Ich hatte ihr einige der längeren Abschnitte zu lesen gegeben, die ich während meiner Krankheit niedergeschrieben hatte. Jasons Übergang ins Vierte Alter, sagte sie, scheine weniger schwierig gewesen zu sein als meiner. Nein, erwiderte ich, ich hätte bei dieser Schilderung nur die Bettschüsseldetails weggelassen.
»Aber seine Erinnerung? Es gab keinen Verlust? Er hat sich keine Sorgen deswegen gemacht?«
»Er hat nicht viel darüber gesprochen. Bestimmt hat er sich Sorgen gemacht.« Einmal, als er gerade aus einem seiner Fieberanfälle auftauchte, hatte er sogar verlangt, ich solle sein Leben für ihn aufzeichnen: Schreib es für mich auf Ty, hatte er gesagt. Schreib es auf falls ich alles vergesse.
»Aber keine Graphomanie bei ihm.«
»Nein, zu Schreibwut kommt es, wenn das Gehirn seine eigene Artikulationsfähigkeit neu zu vernetzen beginnt, aber es ist nur eines der möglichen Symptome. Die Geräusche, die er machte, waren vermutlich seine spezielle Manifestation dieses Vorgangs.«
»Das haben Sie von Wun Ngo Wen erfahren.«
Ja. Oder aus seinen medizinischen Archiven, die ich später studierte.
Ina war noch immer von dem Marsianer fasziniert. »Diese Warnung an die Vereinten Nationen, wegen Überbevölkerung und Ressourcenknappheit – hat Wun je mit Ihnen darüber gesprochen? Ich meine, in der Zeit, bevor…«
»Ich weiß. Ja, doch, ein bisschen.«
»Was hat er gesagt?«
Das war anlässlich einer unserer Unterhaltungen über das eigentliche Ziel der Hypothetischen gewesen. Wun hatte ein Diagramm aufgezeichnet, das ich jetzt für Ina auf dem staubigen Parkettboden reproduzierte: eine senkrechte und eine waagrechte Linie, die einen Graphen definierten. Die Senkrechte stand für Bevölkerungszahlen, die Waagrechte für die Zeit. Eine gezackte Kurve kreuzte mehr oder weniger horizontal über die Graphenebene.
»Entwicklung der Bevölkerung in der Zeit«, sagte Ina. »So viel verstehe ich. Aber was genau wird gemessen?«
»Jede Tierpopulation stellt ein relativ stabiles Ökosystem dar. Seien es Füchse in Alaska oder Brüllaffen in Belize. Die Population schwankt abhängig von äußeren Faktoren – ein besonders kalter Winter etwa oder eine Zunahme von natürlichen Feinden –, aber sie ist jedenfalls kurzfristig stabil.«
Was jedoch, hatte Wun gefragt, wenn wir eine intelligente, Werkzeuge gebrauchende Spezies über einen längeren Zeitraum betrachten? Ich malte Ina den gleichen Graphen noch einmal auf, nur diesmal bewegte sich die Kurve stetig nach oben.
»Was hier geschieht«, sagte ich, »ist, dass die Population, dass die Menschen lernen, ihre Fähigkeiten weiterzugeben. Dass sie nicht nur wissen, wie man Feuersteine schlägt, sondern dass sie auch anderen Menschen zeigen, wie man es macht und wie man die Arbeit ökonomisch aufteilt. Kooperation ergibt mehr zu essen. Die Bevölkerung wächst. Mehr Menschen kooperieren noch effizienter und entwickeln neue Fertigkeiten. Ackerbau. Viehhaltung. Lesen und Schreiben – was bedeutet, dass Fertigkeiten noch besser weitergegeben und sogar vererbt werden können an spätere Generationen.«
»Also verläuft die Kurve immer steiler – bis wir in uns selbst ertrinken.«
»Nicht zwangsläufig. Es gibt andere Kräfte, die die Kurve nach rechts ziehen. Wachsender Wohlstand und technisches Können wirken zu unseren Gunsten. Wohlgenährte, in Sicherheit lebende Menschen tendieren dazu, ihre Reproduktion zu begrenzen. Technologie und eine flexible Kultur geben ihnen die Mittel dazu. Letzten Endes, meinte jedenfalls Wun, wird die Kurve sich wieder nach rechts neigen.«
Ina schien verwirrt. »Dann gibt es also gar kein Problem? Keine Hungersnot, keine Überbevölkerung?«
»Unglücklicherweise ist die Bevölkerungskurve für die Erde noch weit davon entfernt, waagrecht zu verlaufen. Und wir haben es mit einschränkenden Bedingungen zu tun.«
»Einschränkende Bedingungen?«
Noch ein Diagramm. Eine Kurve, die wie ein kursives S verlief, am höchsten Punkt waagrecht. Darüber zeichnete ich zwei parallele horizontale Linien: die eine, mit A
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