Spin
Diplomatie zu sprechen, erfüllt den gleichen Zweck wie ›Ich liebe dich‹ zu sagen: man kriegt das Höschen leichter runter. Es sei denn natürlich, die Marsianer sind wirklich engelsgleiche Wesen, die vom Himmel herabgestiegen sind, um uns von allem Übel zu erlösen. Und ich nehme mal an, dass du das nicht glaubst.«
Wun hatte dies so oft von sich gewiesen, dass ich kaum widersprechen konnte.
»Ich meine, sieh dir ihre Technologie an. Diese Leute betreiben seit tausend Jahren Biotechnik. Wenn sie die Galaxie mit Nanobots bevölkern wollten, hätten sie das schon längst tun können. Also: Warum haben sie es nicht getan? Warum? Offensichtlich doch, weil sie Angst vor Vergeltungsmaßnahmen haben.«
»Vergeltungsmaßnahmen von den Hypothetischen? Sie wissen nichts über die Hypothetischen, was wir nicht auch wissen.«
»Das behaupten sie. Braucht aber nicht zu heißen, dass sie nicht Angst vor ihnen hätten. Was uns betrifft – wir sind die Arschlöcher, die vor nicht allzu langer Zeit einen nuklearen Angriff auf die Polarartefakte unternommen haben. Ja, wir nehmen die Verantwortung auf uns, warum nicht? Herrgott, mach die Augen auf, Tyler! Das ist das klassische Täuschungsmanöver. Könnte kaum abgefeimter sein.«
»Vielleicht sind Sie aber auch nur paranoid.«
»Bin ich das? Wer bestimmt, was Paranoia in Spinzeiten heißt? Wir alle sind paranoid. Denn wir alle wissen, dass böse Mächte unser Leben kontrollieren, und schon damit entsprechen wir der Definition von Paranoia.«
»Ich bin ja nur praktischer Arzt. Aber intelligente Menschen sagen mir…«
»Du meinst natürlich Jason. Jason sagt, dass alles gut wird.«
»Nicht nur Jason. Die Regierung. Der größte Teil des Kongresses.«
»Aber die sind vom Rat der Eierköpfe abhängig. Und die Eierköpfe sind von all dem genauso hypnotisiert wie Jason. Willst du wissen, was deinen Freund antreibt? Furcht. Er hat Angst davor, unwissend zu sterben. Wenn er unwissend stirbt, dann heißt das in der Situation, in der wir uns befinden, dass die menschliche Spezies unwissend stirbt. Und das macht ihm eine Scheißangst, diese Vorstellung, dass eine ganze, dem Vernehmen nach intelligente Spezies aus dem Universum getilgt werden kann, ohne dass sie begreift, warum und wozu. Anstatt mir Paranoia zu bescheinigen, solltest du mal über Jasons Größenwahn nachdenken. Er hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Spin zu verstehen. Da taucht Wun auf und hält ihm ein Werkzeug hin, das diesem Zweck zu dienen scheint, und natürlich greift er zu. Das ist so, als würde man einem Pyromanen ein Streichholz hinhalten.«
»Wollen Sie wirklich, dass ich ihm das erzähle?«
»Ich…« E. D. wirkte plötzlich verdrossen, vielleicht war aber auch sein Alkoholspiegel zu hoch gestiegen. »Ich dachte, weil er auf dich hört…«
»Das glauben Sie nicht im Ernst.«
Er schloss kurz die Augen. »Vielleicht nicht. Ich weiß nicht. Aber ich muss es versuchen. Verstehst du das? Für mein Gewissen.« Ich war verblüfft über sein Bekenntnis, eines zu besitzen. »Lass mich offen zu dir sein. Ich habe das Gefühl, als würde ich einem Zugunglück in Zeitlupe zusehen. Die Räder schweben schon in der Luft, und der Zugführer hat es noch nicht bemerkt. Was mache ich also? Ist es zu spät, die Notbremse zu ziehen? Zu spät, ›Achtung‹ zu schreien? Vermutlich. Aber er ist mein Sohn, Tyler. Der Mann, der den Zug fährt, ist mein Sohn.«
»Er ist in keiner größeren Gefahr als wir alle.«
»Ich glaube, das stimmt nicht. Selbst wenn diese Sache gelingt, werden wir daraus nicht mehr gewinnen als abstrakte Information. Jason ist damit zufrieden, doch der Rest der Welt wird damit nicht zufrieden sein. Du kennst Preston Lomax nicht. Ich schon. Lomax wäre nur zu gern bereit, Jason einen Fehlschlag anzuhängen und ihn der Meute zum Fraß vorzuwerfen. In seiner Regierung gibt es eine Menge Leute, die Perihelion dichtmachen oder dem Militär überantworten wollen. Und das sind noch die besten Varianten, die ich hier ausmale. Im ungünstigsten Fall werden die Hypothetischen sauer und schalten den Spin ab.«
»Sie befürchten also, dass Lomax Perihelion dichtmacht?«
»Ich habe Perihelion aufgebaut – ja, ich mache mir deswegen Sorgen. Doch das ist nicht der Grund, warum ich hier bin.«
»Ich kann Jason weitergeben, was Sie gesagt haben, aber glauben Sie, dass er darauf hören wird?«
»Ich…« Mit wässrigen Augen inspizierte er die Tischplatte. »Nein. Natürlich nicht. Aber wenn er
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