Spin
Mengen Benzin im Tank gewesen wären oder man sonst mit dem Auto noch groß etwas hätte anfangen können.
Aber ich hatte den Tag überlebt. Wir hatten den Tag überlebt. Wir beide. Diane und ich. Und Millionen andere. Wir hatten es hier also mit der langsamen Version der Apokalypse zu tun: Sie würde uns töten, indem sie uns schonend kochte, Grad für Grad. Oder, sollte das nicht klappen, indem sie das Ökosystem der Erde ausbrannte.
Endlich verschwand die Sonne. Die Luft schien augenblicklich um zehn Grad abzukühlen. Vereinzelte Sterne lugten durch die Gazewolken.
Ich hatte lange nichts gegessen, geschweige denn getrunken. Vielleicht war es ja Condons Absicht, mich an Dehydration verrecken zu lassen. Vielleicht hatte er mich aber auch einfach vergessen. Ich hatte nicht den Hauch einer Vorstellung davon, wie Pastor Dan sich diese Ereignisse geistig zurechtlegte, ob er sich bestätigt fühlte oder schreckliche Angst hatte – oder eine Mischung aus beidem.
Das Zimmer wurde dunkel. Kein Deckenlicht, keine Lampe. Aber ich konnte ein leises Tuckern hören, wahrscheinlich ein mit Benzin betriebener Generator, und es drang Licht aus den Fenstern im Erdgeschoss und aus der Scheune.
Während ich an technischen Hilfsmitteln nichts besaß als mein Handy. Ich zog es aus der Tasche und schaltete es ein, ohne bestimmte Absicht, einfach nur, um das Phosphoreszieren des Displays zu sehen.
Dann kam mir ein anderer Gedanke.
»Simon?«
Stille.
»Simon, bist du das? Kannst du mich hören?«
Stille. Dann eine blecherne, digitalisierte Stimme: »Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt. Ich dachte, dieses Ding würde nicht mehr funktionieren.«
»Nur bei Tageslicht nicht.«
Sonnenrauschen hatte jegliches Signal der in großer Höhe schwebenden Aerostaten geschluckt. Nun aber schirmte die Erde uns vor der Sonne ab. Vielleicht hatten die Aerostaten Schäden davongetragen – die Verbindung klang nach Niedrigfrequenz und war von Rauschen durchsetzt –, doch es reichte, um sich zu verständigen.
»Tut mir Leid, was da passiert ist«, sagte Simon. »Aber ich hatte dich ja gewarnt.«
»Wo bist du? In der Scheune oder im Haus?«
Pause. »Im Haus.«
»Ich hab den ganzen Tag hinuntergesehen, aber ich habe weder Condons Frau noch Sorleys Frau oder die Kinder entdeckt. Oder die McIsaacs. Was ist mit ihnen passiert?«
»Sie sind weggefahren.«
»Bist du dir da sicher?«
»Ob ich mir sicher bin? Ja, natürlich. Diane war nicht die Einzige, die krank geworden ist. Tatsächlich war sie die Letzte. Teddy McIsaacs kleine Tochter ist als Erste krank geworden. Dann sein Sohn. Dann Teddy selbst. Als es schließlich so aussah, als wären die Kinder, na ja, also richtig ernsthaft krank, ohne dass es besser wurde, da hat er sie in seinen Pick-up gesetzt und ist weggefahren. Pastor Dans Frau ist mitgekommen.«
»Wann war das?«
»Vor ein paar Monaten. Aarons Frau und die Kinder sind kurz darauf auf eigene Faust weggegangen. Ihr Glaube hatte sie verlassen. Außerdem hatten sie Angst, sich anzustecken.«
»Du hast sie weggehen sehen? Ganz sicher?«
»Ja, warum denn nicht?«
»Die Erde neben der Scheune sieht ganz so aus, als ob man dort etwas verscharrt hätte.«
»Ach das. Tja, da hast du Recht, dort ist etwas verscharrt – die Rinder.«
»Wie bitte?«
»Ein Mann namens Boswell Geller hatte eine große Ranch oben in der Sierra Bonita. Ein Freund von Jordan Tabernacle vor der Spaltung, ein Freund von Pastor Dan. Er hat rote Färsen gezüchtet, aber letztes Jahr hat das Landwirtschaftsministerium eine Untersuchung angestrengt. Gerade, als er anfing, Fortschritte zu machen. Boswell und Pastor Dan wollten alle roten Rinderarten der Welt miteinander kreuzen. Pastor Dan sagt, dass es das sei, worum es im vierten Buch Mose, Kapitel neunzehn, geht: eine reine rote Färse, die am Ende der Zeit geboren wird, hervorgegangen aus allen Arten auf der ganzen Welt, überall, wo das Evangelium gepredigt wurde. Das Opfer ist ein buchstäbliches wie ein symbolisches. Im biblischen Opfer hat die Asche die Kraft, eine besudelte Person zu reinigen, beim Untergang der Welt aber verzehrt die Sonne die Färse und ihre Asche wird verstreut in alle Himmelsrichtungen, auf dass sie die ganze Welt reinigt, sie vom Tode reinwäscht. Das geschieht jetzt gerade. Brief an die Hebräer, Kapitel neun: ›Denn wenn der Böcke und der Ochsen Blut und die Asche von der Kuh, gesprengt auf die Unreinen, sie heiligt zu der leiblichen Reinigkeit, wieviel mehr wird das
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