Spin
wofür du dich entschuldigen müsstest, und du brauchst es auch nicht um meinetwillen zu beschönigen. Ich weiß, dass sie dich angerufen hat, wenn sie dachte, ich schlafe, oder wenn ich außer Haus war. Ich weiß, dass ich mich glücklich schätzen darf, sie so lange bei mir gehabt zu haben.« Er drehte sich zu mir um. »Würdest du mir einen Gefallen tun? Sag ihr bitte, es täte mir Leid, dass ich mich nicht besser um sie gekümmert habe, als sie krank wurde.«
»Das kannst du ihr doch selber sagen.«
Er nickte nachdenklich und fuhr tiefer in den Regen hinein. Ich sagte ihm, er solle versuchen, nützliche Informationen im Radio zu finden, jetzt, wo es wieder dunkel war. Meine Absicht war, wach zu bleiben und zuzuhören, aber ich hatte rasende Kopfschmerzen und begann alles doppelt zu sehen, und nach einer Weile schien es dann doch angenehmer, einfach die Augen zu schließen und zu schlafen.
Ich schlief fest und lange, jede Menge Kilometer blieben unter den Rädern des Autos zurück. Als ich aufwachte, war es erneut ein regnerischer Morgen. Wir parkten auf einem Rastplatz – westlich von Manassas, wie ich später erfuhr –, und eine Frau mit einem eingerissenen schwarzen Regenschirm klopfte ans Fenster.
Blinzelnd öffnete ich die Tür, worauf sie, mit achtsamen Blicken auf Diane, einen Schritt zurückwich. »Soll Ihnen von dem Mann sagen, Sie solln nich warten.«
»Wie bitte?«
»Soll Sie von ihm grüßen und Sie solln nich auf ihn warten.«
Simon saß nicht auf dem Vordersitz. Auch zwischen den Mülltonnen, den nassen Picknicktischen und den Plastiktoiletten war er nicht zu sehen. Einige andere Wagen standen herum, die meisten im Leerlauf vor sich hintuckernd, während ihre Fahrer auf dem Klo waren. Ich registrierte Bäume, Parklandschaft, einen hügeligen Ausblick auf eine regennasse kleine Industriestadt unter einem feuerroten Himmel. »Dünner blonder Typ? Schmutziges T-Shirt?«
»Genau der. Meinte, Sie solln nicht zu lange schlafen. Dann isser losgezogen.«
»Zu Fuß?«
»Ja. Runter Richtung Fluss, nicht anner Straße lang.« Die Frau schielte wieder zu Diane hinüber. »Geht’s Ihnen beiden gut?«
»Nein. Aber wir haben’s nicht mehr weit. Nett, dass Sie fragen. Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Ja. Soll ausrichten, Gott segne Sie und er findet von hier aus selber weiter.«
Ich versorgte Diane. Warf einen letzten Blick über den nassen Parkplatz. Dann fuhr ich weiter.
Ich musste mehrmals anhalten, um Dianes Tropf zu richten oder ihr Sauerstoff zu verabreichen. Sie öffnete die Augen überhaupt nicht mehr, und sie schlief nicht einfach nur – sie war ohne Bewusstsein. Ich mochte nicht darüber nachdenken, was das bedeutete.
Die Straßen erlaubten kein schnelles Fahren, der Regen prasselte nur so herunter und überall gab es Hinweise auf das Chaos der letzten Tage. Ich kam an dutzenden von ausgebrannten, an den Straßenrand geschobenen Autowracks vorbei, aus einigen stieg noch Rauch auf. Etliche Straßen waren für den zivilen Verkehr gesperrt, durften nur von Militär oder Notdienstfahrzeugen befahren werden. Mehrmals stand ich vor Straßensperren und musste kehrtmachen. Die Hitze des Tages machte die feuchte Luft fast unerträglich, am Nachmittag kam zwar ein starker Wind auf, doch auch der brachte nur wenig Erleichterung.
Zumindest war Simon erst kurz vor unserem Ziel desertiert. Ich schaffte es zum Großen Haus, solange noch Licht am Himmel war.
Der Wind war noch heftiger geworden, hatte fast Sturmstärke erreicht, und die Auffahrt der Lawtons war von Zweigen und Ästen übersät. Das Haus selbst war dunkel, jedenfalls sah es in der gelbbraunen Dämmerung so aus.
Ich ließ Diane im Auto, klopfte an die Tür. Und wartete. Klopfte noch einmal, nachdrücklich. Endlich öffnete sie sich einen Spaltbreit, und Carol Lawton spähte hinaus.
Ich konnte ihr Gesicht in der schmalen Öffnung kaum erkennen: ein blassblaues Auge, eine runzelige Wange.
»Tyler Dupree«, sagte sie. »Bist du allein?« Die Tür ging weiter auf.
»Nein. Diane ist bei mir. Und ich brauche Hilfe, um sie nach drinnen zu schaffen.«
Carol trat auf die Veranda und linste hinunter zum Auto. Als sie Diane sah, versteifte sich ihr kleiner Körper, sie zog die Schultern hoch und rang nach Luft. »Großer Gott«, flüsterte sie. »Sind denn beide meine Kinder zum Sterben nach Hause gekommen?«
DER ABGRUND IN FLAMMEN
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Die ganze Nacht hindurch rüttelte der Wind am Großen Haus, ein heißer, salziger
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