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Spin

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Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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ordentlichen, überschaubaren Kinderwelt gewesen waren und die Sterne auf ihrem angestammten Platz am Himmel gestanden hatten. Da war noch das helle Rechteck, wo einst ein Bild des Sonnensystems die Wand bedeckt hatte. Da war der Teppich, inzwischen dampfgereinigt und chemisch gebleicht, auf dem wir an regnerischen Tagen wie diesem Cola verschüttet und Kuchenstücke verstreut hatten.
    Und da war Jason.
    »Das klingt wie Tyler«, sagte er.
    Er lag im Bett, bekleidet – er bestehe darauf, sich jeden Morgen anzuziehen, hatte Carol gesagt – mit Khakihosen und einem blauen Baumwollhemd. Er saß gegen die aufgeschichteten Kissen gelehnt und schien hellwach.
    »Hast ja nicht viel Licht hier drin, Jase.«
    »Mach die Rollos hoch, wenn du möchtest.«
    Das tat ich, mit dem Effekt, dass noch mehr von dem trüben Bernsteintageslicht ins Zimmer fiel. »Was dagegen, wenn ich dich untersuche?«
    »Natürlich nicht.« Er sah mich nicht an. Sofern überhaupt etwas aus seiner Kopfhaltung zu folgern war, blickte er auf einen leeren Punkt an der Wand.
    »Carol sagt, du hättest Probleme mit dem Sehen.«
    »Carol praktiziert das, was man in deinem Beruf als Realitätsflucht bezeichnet. Tatsächlich bin ich blind. Seit gestern Morgen.«
    Ich setzte mich neben ihn auf die Bettkante. Er drehte den Kopf in meine Richtung, eine quälend langsame Bewegung. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete ich in sein rechtes Auge, um die Verengung der Pupille zu beobachten.
    Die Pupille verengte sich nicht. Sie glitzerte. Die Pupille in seinem Auge glitzerte, als wären ihr winzige Diamanten injiziert worden.
    Jason musste mein Zurückzucken gespürt haben. »So schlimm?«, fragte er.
    Ich konnte nicht sprechen.
    »Ich kann keinen Spiegel benutzen, Ty. Ich bin darauf angewiesen, dass du mir sagst, was du siehst.«
    »Das… ich weiß nicht, was das ist, Jason. Auf jeden Fall etwas, das ich nicht diagnostizieren kann.«
    »Dann beschreib es einfach nur.«
    Ich bemühte mich um professionelle Sachlichkeit. »Es sieht aus, als seien dir irgendwelche Kristalle ins Auge gewachsen. Die Sklera wirkt normal und die Iris scheint nicht betroffen zu sein, aber die Pupille ist vollständig überlagert von Spänen oder Splittern, irgendetwas Glimmerndem. Von so etwas habe ich noch nie gehört. Ich weiß nicht, wie man es behandelt.«
    Ich erhob mich vom Bett, suchte mir einen Sessel, setzte mich. Eine Zeit lang gab es keinen Laut außer dem Ticken der Nachttischuhr, einer weiteren von Carols Antiquitäten.
    Schließlich holte Jason Luft und rang sich etwas ab, das er offenbar für ein beruhigendes Lächeln hielt. »Danke. Du hast Recht, es ist ein Zustand, den man nicht behandeln kann. Aber dennoch werde ich deine Hilfe brauchen während, nun, während der nächsten Tage. Carol gibt sich Mühe, aber das alles übersteigt ihr Fassungsvermögen.«
    »Meines auch.«
    Mehr Regen trommelte gegen das Fenster. »Es ist keine ausschließlich medizinische Hilfe, die ich brauche.«
    »Wenn du eine Erklärung hierfür hast…«
    »Eine Teilerklärung allenfalls.«
    »Dann klär mich bitte auf, Jase, denn ich krieg hier langsam ein bisschen Angst.«
    Er legte den Kopf auf die Seite, lauschte irgendeinem Klang, den ich nicht gehört hatte oder nicht hören konnte. »Die Kurzversion lautet, dass mein Nervensystem Einwirkungen ausgesetzt ist, die ich nicht kontrollieren kann. Der Zustand meiner Augen ist nur eine äußerliche Manifestation davon.«
    »Eine Krankheit?«
    »Nein, aber das ist die Wirkung, die es hat.«
    »Ist es ansteckend?«
    »Im Gegenteil. Ich glaube, es ist einzigartig. Eine Krankheit, die nur ich ausbilden kann – auf diesem Planeten jedenfalls.«
    »Dann hat es etwas mit der Langlebigkeitsbehandlung zu tun.«
    »In gewisser Weise. Aber ich…«
    »Nein, Jase, ich brauche darauf eine Antwort, bevor du irgendetwas anderes sagst. Ist dein Zustand – was immer es genau ist – eine direkte Wirkung der Substanz, die ich dir verabreicht habe?«
    »Keine direkte Wirkung, nein. Du hast keinerlei Schuld, falls es das ist, was dich interessiert.«
    »Im Moment ist es mir vollkommen gleichgültig, wer welche Schuld hat. Diane ist krank. Hat Carol dir nichts erzählt?«
    »Sie sagte was von einer Grippe.«
    »Das war gelogen. Es ist keine Grippe, es ist KVES im Spätstadium. Ich bin dreitausend Kilometer gefahren, mitten durch das Ende der Welt oder was immer es ist, weil sie im Sterben liegt, Jase. Und es gibt, so weit ich weiß, nur eine Möglichkeit der Heilung

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