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Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
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solche Technik verfügen, haben sie es unterlassen, dies in ihren Archiven zu dokumentieren.«
    Das Fenster in Jasons Zimmer ging nach Westen. Der rosenfarbene Schimmer, der jetzt zu uns hereindrang, kam von der untergehenden, hinter Wolken versteckten Sonne. »Und sie sind jetzt bei dir. Sprechen zu dir.«
    »Sie. Es. Wir bräuchten ein besseres Pronomen. Die ganze Von-Neumann-Ökologie ist ein einzelnes Wesen. Es denkt seine eigenen langsamen Gedanken, macht seine eigenen Pläne. Aber viele von seinen Billionen Teilen sind ebenfalls autonome Individuen, die miteinander wetteifern, die schneller agieren als das Netzwerk im Ganzen und die sehr viel intelligenter sind als jedes menschliche Einzelwesen. Die Spinmembran zum Beispiel…«
    »Die Spinmembran ist ein Individuum?«
    »In jedem wesentlichen Sinne, ja. Seine Ziele und Zwecke empfangt es aus dem Netzwerk, aber es wertet Ereignisse aus und trifft autonome Entscheidungen. Es ist komplexer, als wir es uns im Traum hätten vorstellen können, Tyler. Wir haben angenommen, die Membran sei entweder an oder aus, wie ein Lichtschalter, wie ein binärer Kode. Aber mitnichten. Sie kennt viele Zustände, viele Zwecke. Viele Stufen der Durchlässigkeit beispielsweise. Wir wussten, dass sie ein Raumschiff passieren lassen und einen Asteroiden abwehren kann, aber sie besitzt noch weitaus subtilere Fähigkeiten. Das ist der Grund, warum wir in den letzten Tagen nicht von der Sonnenstrahlung überwältigt wurden – die Membran gewährt uns noch immer einen gewissen Schutz.«
    »Ich weiß nicht, wie groß die Zahl der Todesopfer ist, Jase, aber es muss allein in dieser Stadt tausende von Menschen geben, die Angehörige verloren haben, seit der Spin zu Ende ist. Ich würde mich doch sehr schwer tun, diesen Leuten zu sagen, dass sie ›beschützt‹ werden.«
    »Aber das werden sie. Die Spinmembran ist nicht Gott – sie sieht nicht den Spatzen vom Dach fallen. Doch sie kann verhindern, dass der Spatz an tödlichem ultraviolettem Licht verbrennt.«
    »Und wofür das alles?«
    Jason runzelte die Stirn. »Ich… bekomme es nicht recht zu fassen. Oder vielleicht kann ich es auch nicht übersetzen…«
    Es klopfte an der Tür. Carol trat mit einem Arm voll Bettwäsche ins Zimmer.
    Ich schaltete den Rekorder ab. »Saubere Laken?«
    »Zum Festbinden.« Die Laken waren in Streifen geschnitten.
    »Wenn die Krämpfe anfangen.« Sie deutete zum Fenster, auf das schwindende Tageslicht.
    »Danke«, sagte Jason sanft. »Tyler, wenn du eine Pause brauchst, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Aber bleib nicht zu lange.«
     
    Ich ging, um nach Diane zu sehen, die sich in einem entspannten Zwischenstadium befand. Sie schlief. Ich dachte über das marsianische Mittel nach, das ich ihr verabreicht hatte, die »Basisvier«, in Jasons Worten, die halbintelligenten Moleküle, die zum Kampf gegen die KVES-Bakterien in ihrem Körper antraten, winzig kleine Bataillone, ausgehoben, um sie zu reparieren und umzubauen, sofern ihr Körper noch nicht zu geschwächt war, um diese Belastungen zu überstehen.
    Ich küsste sie auf die Stirn und sprach sanfte Worte, die sie vermutlich nicht hörte. Dann ging ich die Treppe hinunter und hinaus auf den Rasen des Großen Hauses.
    Der Regen hatte endlich aufgehört – abrupt und vollständig –, und die Luft war so frisch wie den ganzen Tag nicht. Der Himmel war am Zenit tiefblau. Ein paar Wolkenfetzen umspielten die monströse Sonne, die sich anschickte, den westlichen Horizont zu küssen. Regentropfen standen auf jedem einzelnen Grashalm, winzige, bernsteinfarbene Perlen.
    Jason hatte gesagt, dass er sterben werde. Jetzt begann ich es mir selbst einzugestehen.
    Als Arzt hatte ich den Tod besser kennen gelernt, als es die meisten Leute je tun. Ich wusste, wie Menschen sterben. Ich wusste, dass das gängige Bild unserer Einstellung zum Tod – als Abfolge von Verleugnung, Wut, Hinnahme – bestenfalls eine grobe Verallgemeinerung war. Diese Emotionen mögen sich innerhalb von Sekunden entwickeln oder auch gar nicht; der Tod kann sie jederzeit übertrumpfen. Für viele Menschen stellt sich die Frage gar nicht, wie man seinem Tod begegnet – ihr Tod kommt unangekündigt, als Folge einer gerissenen Aorta oder einer falschen Entscheidung an einer vielbefahrenen Kreuzung.
    Doch Jason wusste, dass er im Sterben lag. Und ich konnte es nicht fassen, dass er das mit einer so gespenstischen Gelassenheit hinnahm, bis ich begriff, dass in seinem Tod auch eine Erfüllung lag.

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