Spin
gefährlich, sagte sie. Es reiche ihr zu wissen, dass wir in Sicherheit seien. Und es gab im Grunde auch nichts zu sagen.
Diane besuchte das Grab ihrer Mutter, während sie in Washington war. Am meisten bedrückte sie, wie sie sagte, dass Carols Leben so unvollständig gewesen sei: ein Verb ohne Objekt, ein anonymer Brief, missverstanden, weil die Unterschrift fehlte. »Es ist weniger sie, die mir fehlt, als die, die sie hätte sein können.«
Bei E. D.s Trauerfeier achtete sie sorgfältig darauf, sich nicht zu erkennen zu geben. Zu viele seiner politischen Kumpanen waren anwesend, darunter der Vizepräsident und der Justizminister. Doch ihre besondere Aufmerksamkeit galt einer unbekannten Frau auf einer der hinteren Bänke, die ihrerseits immer wieder verstohlen zu Diane sah. »Ich wusste sofort, dass sie eine Vierte ist«, sagte sie später. »Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Ihre Haltung, die alterslose Erscheinung – aber es war noch mehr, es war wie ein Signal, das zwischen uns hin- und herlief.« Als die Zeremonie beendet war, ging sie auf die Frau zu und fragte sie, auf welche Weise sie mit E. D. bekannt gewesen war.
»Ich war nicht mit ihm bekannt«, erwiderte die Frau. »Nicht im eigentlichen Sinne. Ich war eine Weile im Forschungsteam bei Perihelion, in der Zeit, als Jason Lawton dort der Leiter war. Ich heiße Sylvia Tucker.«
Der Name kam mir gleich bekannt vor, als Diane ihn nannte. Sylvia Tucker war eine der Anthropologinnen, die in Florida mit Wun Ngo Wen zusammengearbeitet hatten. Sie war freundlicher gewesen als die meisten anderen der befristet angestellten Wissenschaftler – gut möglich, dass Jason sich ihr anvertraut hatte.
»Wir haben E-Mail-Adressen ausgetauscht«, sagte Diane. »Keiner von uns hat das Wort ›Vierte‹ ausgesprochen. Aber wir wussten es beide, da bin ich sicher.«
Eine Korrespondenz folgte nicht daraus, doch von Zeit zu Zeit erhielt Diane digitale Presseausschnitte von Sylvia Tuckers Adresse. Diese betrafen zum Beispiel: Einen Industriechemiker aus Denver, der auf Grund einer Sicherheitsverfügung verhaftet und auf unbestimmte Zeit in Gewahrsam genommen worden war; eine geriatrische Klinik, die auf Grund eines Bundeserlasses geschlossen worden war, einen Soziologieprofessor von der University of California, der bei einem Feuer ums Leben gekommen war, es wurde Brandstiftung vermutet; und so weiter.
Ich hatte bewusst keine Liste der Adressen aufbewahrt, an die Jasons Päckchen gegangen waren, und sie auch nicht auswendig gelernt. Doch einige der Namen in den Artikeln klangen durchaus vertraut.
»Sie will uns mitteilen, dass wir gejagt werden«, sagte Diane. »Die Regierung jagt Vierte.«
Einen Monat lang diskutierten wir, was wir machen würden, wenn wir die gleiche Art von Aufmerksamkeit auf uns zögen.
Wohin sollten wir fliehen, angesichts des globalen Sicherheitsapparats, den Lomax und seine Erben aufgebaut hatten?
Im Grunde gab es darauf nur eine plausible Antwort. Nur einen Ort, wo dieser Apparat nicht tätig werden konnte, wo die Überwachung vollkommen blind war. Wir machten also unsere Pläne – diese Pässe, jenes Bankkonto, diese Route über Europa nach Südasien – und legten sie beiseite, bis wir sie brauchen würden.
Dann empfing Diane eine letzte Nachricht von Sylvia Tucker, die aus nur zwei Wörtern bestand: Haut ab.
Und das taten wir.
Auf der letzten Etappe der Reise, beim Anflug auf Sumatra, sagte Diane: »Bist du sicher, dass du es tun willst?«
Ich hatte die Entscheidung vor einigen Tagen getroffen, während eines Zwischenaufenthalts in Amsterdam, als wir immer noch Sorge hatten, dass wir verfolgt würden, dass unsere Pässe markiert seien, dass unser Vorrat an marsianischen Pharmazeutika doch noch beschlagnahmt werden würde.
»Ja«, erwiderte ich. »Bevor wir die Überfahrt machen.«
»Ganz sicher?«
»So sicher, wie man sein kann.«
Nein, nicht sicher. Aber bereit. Bereit, das zu verlieren, was verloren gehen würde, und bereit, das anzunehmen, was zu gewinnen war.
Diane und ich mieteten uns also ein Zimmer im dritten Stock eines im Kolonialstil gehaltenen Hotels in Padang, wo wir für eine Weile unbemerkt bleiben würden. Wir alle fallen, sagte ich mir, und ein jeder landet irgendwo.
NÖRDLICH VON ÜBERALL UND NIRGENDS
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Eine halbe Stunde vor der Querung des Bogens, eine Stunde nach Anbruch der Dunkelheit, trafen wir im Speiseraum der Mannschaft auf En. Einer der Matrosen hatte ihm, um ihn zu
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