Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
inzwischen traten sie zu häufig auf, als dass man sie ignorieren konnte.
    Könne alles Mögliche sein, sagte ich zu ihm, obwohl er genauso gut wusste wie ich, dass es sich vermutlich um ein neurologisches Problem handelte.
    Wir waren beide erleichtert, als die Bluttests den Verdacht auf multiple Sklerose bestätigten. Seit der Einführung chemischer Sklerostatine vor zehn Jahren war MS zu einer heilbaren (oder jedenfalls kontrollierbaren) Krankheit geworden. Eine der kleinen Ironien des Spins bestand darin, dass er für eine Reihe von medizinischen Durchbrüchen sorgte, die der Proteomforschung zu verdanken waren. Unsere Generation – Jasons und meine – mochte dem Untergang geweiht sein, aber sie würde jedenfalls nicht mehr an MS, Parkinson, Diabetes, Lungenkrebs, Arteriosklerose oder Alzheimer sterben. Die letzte Generation der Industriegesellschaft würde vermutlich die gesündeste von allen sein.
    Aber ganz so einfach war es natürlich auch nicht. Nach wie vor sprachen fast fünf Prozent der diagnostizierten MS-Fälle nicht auf Sklerostatine oder andere Therapien an. Kliniker gingen dazu über, solche Fälle als »polimedikationsresistente MS« zu bezeichnen, ja in ihr sogar eine gesonderte Krankheit mit gleicher Symptomatik zu sehen.
    Jasons Erstbehandlung allerdings war wie erwartet verlaufen. Ich hatte ihm eine minimale Dosis Tremex verordnet, und seither befand er sich in vollständiger Remission. Jedenfalls bis zu der Woche, in der E. D. mit der Subtilität eines Tropensturms eintraf und parlamentarische Berater und Presseattaches wie zerfleddertes Altpapier durch die Flure wehte.
    E. D. war Washington, wir waren Florida; er war Geschäftsführung, wir waren Wissenschaft und Technik. Jason balancierte ein wenig heikel zwischen den beiden Polen. Grundsätzlich war es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Vorgaben des Lenkungsausschusses umgesetzt wurden, aber er war den Bürokraten oft genug auch entgegengetreten, sodass die Wissenschaftsleute aufgehört hatten, von Nepotismus zu sprechen, und dazu übergegangen waren, ihm Drinks zu spendieren. Das Problem bestand laut Jason darin, dass E. D. sich nicht damit zufrieden gab, das Mars-Projekt auf den Weg zu bringen, nein, er wollte es auch in allen Einzelheiten steuern, oft aus politischen Gründen, wenn er etwa Aufträge an zweifelhafte Anbieter vergab, um sich auf diese Weise die Unterstützung des Kongresses zu kaufen. Die Belegschaft spottete gern über ihn, schüttelte ihm aber auch ebenso gern die Hand, wenn er vor Ort war. Die diesjährige Stippvisite gipfelte in einer Ansprache im Perihelion-Auditorium. Wir fanden uns alle ein, folgsam wie Schulkinder, aber mit größerer, durchaus plausibler Begeisterung, und sobald das Publikum seine Plätze eingenommen hatte, erhob sich Jason, um seinen Vater vorzustellen. Ich sah genau hin, als er die Stufen zur Bühne erklomm und vor das Mikrofon trat. Ich beobachtete, wie er die linke Hand schlaff auf Taillenhöhe hielt, wie er sich, etwas unbeholfen auf dem Absatz drehend, seinem Vater zuwandte und ihm die Hand schüttelte.
    Er führte seinen Vater kurz, aber liebenswürdig ein, dann mischte er sich unter die Schar der Würdenträger, die am hinteren Ende der Bühne saßen. E. D. trat nach vom. Er war in der Woche vor Weihnachten sechzig geworden, ging aber ohne Weiteres als vitaler Fünfziger durch: der Bauch unter dem dreiteiligen Anzug war flach, das schüttere Haar zu einem schneidigen Militärschnitt gestutzt. Was er vortrug, konnte man durchaus als Wahlkampfrede verstehen: Er pries die Regierung Clayton für ihren Weitblick, die versammelte Belegschaft für das Engagement, mit der sie die »Perihelion-Vision« verfolgte, seinen Sohn für seine »inspirierende Leitungstätigkeit« und die Ingenieure und Techniker dafür, dass sie »einen Traum zum Leben« erweckten und, »wenn es uns gelingt«, das Leben auf einen sterilen Planeten trugen, damit »neue Hoffnung für diese Welt, die wir noch immer als unsere Heimat bezeichnen«, sprießen ließen. Beifall, Winken, ein wildes Grinsen, und dann war er wieder verschwunden, weggezaubert von der Horde seiner Leibwächter.
    Ich erwischte Jason eine Stunde später in der Managerkantine, wo er an einem kleinen Tisch saß und vorgab, in einem Sonderdruck der Astrophysics Review zu lesen.
    Ich setzte mich auf den Stuhl ihm gegenüber. »Wie schlimm ist es denn?«
    Er lächelte schwach. »Du meinst nicht etwa den Wirbelwindbesuch meines Vaters?«
    »Du

Weitere Kostenlose Bücher