Spin
riesigen Anzahl neu errichteter Startrampen aus in den Himmel schossen –, und gelegentlich kam es in diesem Spätherbst oder Frühwinter vor, dass Jason seine Arbeit liegen ließ und mich begleitete. Die Nutzlasten waren einfache ARVs, Wiedereintrittsfahrzeuge, vorprogrammierte Erkundungsgeräte, unbeholfene Aussichtsfenster auf die Sterne. Ihre Bergungsmodule würden – sofern die Mission nicht scheiterte – im Atlantik oder in den Salzpfannen der westlichen Wüste niedergehen, gefüttert mit neuen Informationen über die Welt jenseits der Welt.
Mir gefiel die Erhabenheit, die das Ganze an sich hatte. Was Jase, nach eigenem Bekunden, faszinierte, war die »relativistische Zeitkluft«. Diese kleinen Nutzlastpakete verbrachten Wochen oder gar Monate hinter der Spin-Barriere, maßen die Entfernung zum sich zurückziehenden Mond oder das Volumen der expandierenden Sonne, würden aber (in unserem Bezugssystem) noch am selben Nachmittag zur Erde zurückfallen, Zauberflaschen, die mit mehr Zeit gefüllt waren, als sie schlechterdings enthalten konnten.
Und wenn dieser Wein dekantiert wurde, schossen auf den Fluren von Perihelion unvermeidlich die Gerüchte ins Kraut: Gammastrahlung angestiegen, wohl ein Hinweis auf irgendeine Katastrophe in der stellaren Nachbarschaft; neue Streifenbildung um den Jupiter, weil die Sonne mehr Hitze in seine stürmische Atmosphäre pumpt; ein riesiger neuer Krater auf dem Mond, der der Erde nicht mehr nur ein Gesicht zukehrte, sondern – in langsamer Rotation – jetzt auch seine dunkle Seite zeigte.
An einem Morgen im Dezember nahm Jason mich über den Campus mit zu einer Konstruktionsstätte, wo man die originalgetreue Nachbildung eines marsianischen Nutzlastträgers aufgebaut hatte. Er stand auf einer Aluminiumplattform in einer Ecke des in Sektoren unterteilten Raums, in dem ringsum weitere Prototypen zusammengesetzt wurden, um von Männern und Frauen in weißen Tyvek-Anzügen getestet zu werden. Das Gerät war erschreckend klein, fand ich, eine knubblige kleine Kiste mit einer Düse an einem Ende, nicht größer als eine Hundehütte, völlig unspektakulär unter dem erbarmungslosen Licht der Deckenlampen. Aber Jason präsentierte es mit elterlichem Stolz.
»Im Wesentlichen«, sagte er, »besteht es aus drei Teilen: Ionenantrieb und Reaktionsmasse, Bordnavigationssystem, Nutzlast. Der Großteil der Masse ist Motor. Keine Kommunikation – es kann nicht mit der Erde sprechen und braucht es auch nicht. Die Navigationsprogramme sind vielfach redundant, aber die Hardware selbst ist nicht größer als ein Handy und wird von Solarkollektoren gespeist.« Die Kollektoren waren noch nicht montiert, doch an der Wand hing die Skizze des fertig gestellten Vehikels, auf der die Hundehütte sich in eine Libelle à la Picasso verwandelt hatte.
»Sieht irgendwie nicht antriebsstark genug aus, um zum Mars zu kommen.«
»Die Antriebsleistung ist nicht das Problem. Ionenmotoren sind langsam, aber hartnäckig. Und das ist genau das, was wir wollen – einfache, robuste, haltbare Technologie. Der heikle Teil ist das Navigationssystem, das muss intelligent und autonom sein. Wenn ein Gegenstand die Spin-Barriere durchbricht, erfährt er das, was von manchen Leuten als ›zeitliche Beschleunigung‹ bezeichnet wird. Ein dummer Ausdruck, aber ganz anschaulich. Das Raumfahrzeug wird beschleunigt und erhitzt – nicht auf sich bezogen, sondern auf uns –, und das Gefälle ist extrem groß. Eine winzig kleine Veränderung der Geschwindigkeit oder der Flugbahn beim Start – etwas so Minimales wie ein Windstoß oder eine für Millisekunden aussetzende Treibstoffzufuhr an der Trägerrakete – macht es unmöglich, vorherzusagen, nicht wie, aber wann das Fahrzeug in den äußeren Weltraum eintritt.«
»Warum ist das wichtig?«
»Das ist wichtig, weil der Mars und die Erde sich beide in elliptischen Umlaufbahnen befinden und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit um die Sonne kreisen. Es gibt keine verlässliche Methode, die relativen Positionen der Planeten zu dem Zeitpunkt vorauszuberechnen, an dem das Fahrzeug die Umlaufbahn erreicht. Im Grunde ist es so, dass die Maschine den Mars in einem ziemlich überfüllten Himmel erst einmal finden und die Flugbahn dann selbst bestimmen muss. Also brauchen wir schlaue, flexible Software und einen robusten, haltbaren Antrieb. Zum Glück haben wir beides. Es ist eine tolle Maschine, Tyler. Von außen schlicht, aber unter der Haut blüht sie auf. Früher oder
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