Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Aber wenn du glaubst, dass ich im Rollstuhl und mit einem Katheter im Schwanz zur Arbeit erscheine, dann liegst du total daneben.«
    »Selbst wenn ich dir sofort etwas verschreibe, wird es dir nicht über Nacht besser gehen. Das dauert ein paar Tage.«
    »Ich könnte vielleicht einige Tage frei machen.« Er dachte darüber nach. »Okay«, sagte er schließlich. »Ich möchte die Medikamente haben und ich möchte, dass du mich unauffällig hier rausschaffst. Wenn du das hinbekommst, begebe ich mich ganz in deine Obhut. Kein Widerspruch mehr.«
    »Ärzte verhandeln nicht, Jase.«
    »Akzeptier es so oder lass es bleiben, Hippokrates.«
     
    Ich gab ihm nicht gleich den ganzen Cocktail – ich hatte nicht alle Medikamente vorrätig –, aber ich verabreichte ihm ein CNS-Stimulans, das ihm für die nächsten Tage zumindest die Kontrolle über seine Blase und die Fähigkeit, ohne Hilfe zu gehen, zurückgeben würde. Die Nebenwirkung war ein gereizter, eisiger Gemütszustand, vergleichbar, habe ich mir sagen lassen, mit dem Ende eines Kokainrausches. Es erhöhte den Blutdruck und ließ dunkle Taschen unter den Augen wachsen.
    Wir warteten, bis der Großteil der Belegschaft nach Hause gegangen und nur noch die Nachtschicht auf dem Gelände war. Jase bewegte sich steif, aber überzeugend am Empfang vorbei zum Parkplatz, winkte einigen spät Feierabend machenden Kollegen lächelnd zu und sank dann auf den Beifahrersitz meines Autos. Ich fuhr ihn nach Hause.
    Er hatte mich mehrmals in meinem kleinen Haus besucht, aber ich war noch nie bei ihm gewesen. Ich hatte etwas erwartet, das seinem Status bei Perihelion entsprach, tatsächlich aber war seine Schlafstatt – denn viel mehr als schlafen tat er dort offenbar nicht – eine bescheidene Eigentumswohnung mit allenfalls einem Viertel Blick aufs Meer. Eingerichtet hatte er sie mit einem Sofa, einem Fernseher, einem Schreibtisch, einigen Bücherregalen und einem Breitband-Medien/Internet-Anschluss. Die Wände waren kahl, außer über dem Schreibtisch, wo ein handgezeichnetes Schaubild festgeklebt war, das die Geschichte des Sonnensystems von der Geburt der Sonne bis zu ihrem Zerfall in einen weißen Zwerg zeigte, wobei sich die menschliche Geschichte an einem mit DER SPIN markierten Punkt von der Zeitgeraden abtrennte. Die Bücherregale waren voll mit Zeitschriften und wissenschaftlichen Texten, dazwischen genau drei gerahmte Fotos: E. D. Lawton, Carol Lawton und eine ziemlich spröde Aufnahme von Diane, die etliche Jahre alt sein musste.
    Jason legte sich aufs Sofa, der Inbegriff eines Paradoxons: der Körper im Ruhezustand, die Augen in medikamentöser Hyperaufmerksamkeit geradezu gleißend. Ich ging in die kleine Küche und schlug ein paar Eier in die Pfanne (wir hatten beide seit dem Frühstück nichts gegessen), während Jason redete. Und redete. Und nicht aufhörte zu reden. »Natürlich«, sagte er irgendwann, »bin ich viel zu gesprächig, das ist mir vollkommen bewusst, aber an Schlaf ist im Moment nicht einmal zu denken. Lässt das irgendwann nach?«
    »Wenn wir dich langfristig auf den Medikamentencocktail setzen, ja, dann wird die stimulierende Wirkung verschwinden.« Ich brachte ihm einen Teller Rührei ans Sofa.
    »Es putscht wirklich auf. Wie diese Pillen, die manche Leute nehmen, wenn sie für eine wichtige Prüfung pauken. Aber für den Körper ist es beruhigend. Ich fühle mich wie eine Neonreklame auf einem leeren Gebäude. Hell erleuchtet, aber im Grunde hohl. Hey, die Eier sind sehr gut. Danke.« Er stellte den Teller beiseite. Er hatte gerade mal einen Löffel davon gegessen.
    Ich saß an seinem Schreibtisch und betrachtete erneut die Skizze an der Wand, die karge Darstellung der Geschichte unseres Sonnensystems. Er hatte sie mit Filzstift auf gewöhnliches braunes Packpapier gezeichnet.
    Jason folgte meinem Blick. »Offensichtlich«, sagte er, »erwarten sie, dass wir irgendetwas tun.«
    »Wer?«
    »Die Hypothetischen. Wenn wir sie denn so nennen müssen. Und das müssen wir wohl – alle tun es. Sie erwarten etwas von uns. Ich weiß nicht, was. Ein Geschenk, ein Zeichen, ein annehmbares Opfer.«
    »Woher weißt du das?«
    »Nun, es ist keine besonders originelle Vermutung. Warum ist die Spin-Barriere durchlässig für menschliche Artefakte wie Satelliten, nicht aber für Meteore oder gar Brownlee-Partikel? Offensichtlich handelt es sich gar nicht um eine Barriere, das war von Anfang an nicht der richtige Ausdruck.« Unter dem Einfluss des Stimulans schien

Weitere Kostenlose Bücher