Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Projekt, das man für Jahrzehnte auf Eis gelegt hatte. Bekannt unter dem Decknamen »Artischocke«. Dahinter steckte die Phantasie vom »Mandschurischen Kandidaten«, der Traum von einem Menschen, den man gegen seinen Willen zu einem Killer programmieren konnte, zu einem ferngesteuerten Attentäter. In den letzten Jahrzehnten hatte es in der Öffentlichkeit rund um dieses Thema immer wieder Verschwörungstheorien gegeben. Journalisten hatten die verwegensten Theorien um die Attentate auf Präsident Kennedy und John Lennon unter die Leute gebracht. Aber nie war der Nachweis gelungen, dass die Agentur in einen dieser Morde verwickelt gewesen war. Es waren nur wundersame Verschwörungstheorien, wie es auch rund um 09/11 eine ganze Reihe von solchen Theorien gab. Aber keine davon stimmte, zumindest soweit er wusste. Jetzt hatte die Agentur das Projekt wieder aufgegriffen. Und wenn er sich nicht täuschte, lief alles darauf hinaus, Mark als ferngesteuerten Killer einzusetzen. Als seine Zielperson war der deutsche Innenminister ausgewählt worden. Auch den Termin und den Ort für den Anschlag glaubte er zu kennen. Das Attentat sollte am Wochenende im Berliner Velodrom stattfinden, auf dem Parteitag der Grünen. Und er war fest entschlossen, sich einzumischen. Er hatte Lust dazu.
Um ganz sicher zu gehen, hatte er sich für heute Abend mit Ole auf ein paar Bier verabredet. Ole konnte ihm bestimmt sagen, ob er mit seinen Vermutungen richtig lag oder nicht.
* * *
Ole hatte sich verändert. Er hatte nichts mehr mit dem engagierten Agenten gemein, den er vor ein paar Jahren zum ersten Mal kennengelernt hatte. Seine Bewegungen wirkten fahrig und unkonzentriert. Es war offensichtlich, dass er mit seinem Job nicht mehr klarkam und zutiefst an dem zweifelte, was er tat. Da ging es Ole ähnlich wie ihm, wenn auch aus anderen Gründen. Er hatte dieses typische Burnout-Syndrom, das unter Agenten, die unter permanentem Stress standen, häufiger zu finden war. Wie die meisten der davon betroffenen Agenten glaubte auch Ole, dass die Agentur ihn bald ausmustern würde, und hatte Angst, in einem dunklen Hinterhof erschossen zu werden. Das Komische daran war, dass die Agentur irgendwann checkte, dass der Agent durch seinen psychischen Zustand zum Risiko geworden war, und tatsächlich nach einem Weg suchte, dieses Problem zu lösen.
Ole hatte sich seine eigene Theorie zurechtgelegt und schien in einem Mix aus Realität und Wahnvorstellung zu leben.
»Sie verheizen uns! Wir spielen in einem Spiel mit, dessen Regeln wir nicht kennen!«, sagte er plötzlich nach dem dritten Bier. »Du glaubst doch nicht etwa, dass sie uns die Wahrheit sagen? Wir wissen nichts, gar nichts! Sie haben eine ganz neue Strategie entwickelt, eine Strategie, die ich ‚minimal invasiv’ nennen würde, ‚minimal invasiv’, unauffällig wie ein schleichendes Gift!«
»Was meinst Du damit, mit ‚minimal invasiv’?«
»Ich glaube, dass die Agentur mittlerweile Instrumente in der Hand hat, von denen wir nichts wissen, die wir uns nicht einmal vorstellen können! Damit ist vieles möglich, wenn nicht alles! Sie spielen ein ungeheueres Spiel! Seit der Gründung der ARPA 1957, als die Sowjets den Sputnik in den Weltraum geschossen haben. Du kennst die Geschichte?«
»Nicht genau, was ist das, die ARPA, erklär es mir.«
»Die ARPA, Advanced Research Projects Agency, damit haben sie angefangen. Recherchier das mal im Internet. Jedenfalls haben sie eine ganz neue Strategie entwickelt, ich bin mir sicher. Es gab viele Fehlschläge und Skandale bei Operationen der Agentur, und dann gab es den Vietnamkrieg, diese traumatische Niederlage. Deshalb haben sie nachgedacht und eine neue Strategie entwickelt. ‚Minimal invasiv’, damit meine ich, dass eine optimale Geheimdienstoperation soweit als irgend möglich in den Strom des normalen Lebens verwoben sein sollte, damit sie als solche nach Möglichkeit nicht mehr erkennbar ist. Verstehst du? Sie arbeiten längst so, dass wir ihre entscheidenden Operationen nicht mehr erkennen. Und alles was wir an der Oberfläche machen, ist nicht mehr wichtig, nur noch Tarnung.«
»Glaubst du das wirklich?« Er wusste nicht mehr, was er von Ole halten sollte, wahrscheinlich hatte er tatsächlich den Verstand verloren.
»Sie haben unendlich viel Geld und unendlich viel Einfluss, weil sie überall stecken, überall. Dir als Computer-Mann müsste das eigentlich auch klar sein. Sie haben begriffen, was das bedeutet, Computer und
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