Spinnefeind
Raum. Neben ihr keuchte Falk auf. Der Stuhl, auf dem er saß, quietschte. Katinka wollte ihre Waffe ziehen, als sie ein sanftes Plopp und ein Zischen hörte. Sie warf sich auf den Boden, kroch unter Ljubovs Schreibtisch. Ein panisches Fauchen kam aus ihrem Hals. Eisige Angst, Herzklopfen, und gleichzeitig das Gefühl, dass dies alles nichts mit ihr zu tun hatte. Direkt über ihr schwebte ein roter Punkt im Dunkel des Zimmers. Noch ein Zischen. Jemand stieß gegen ihren Unterschenkel. Sie verbiss sich den Schmerzensschrei und tastete nach ihrer Pistole. Ein Fuß trat auf ihre Hand. Der rote Punkt kam sehr nah, und sie spürte die Atemluft eines Menschen in ihrem Gesicht. Eine Welle von Schweiß durchtränkte ihre Kleider. Bewegungslos blieb sie liegen.
Der zweite Schatten beugte sich über Falk, der auf seinem Stuhl zusammengesunken war, und gab ihm einen Schubs. Der Stuhl drehte sich einmal um sich selbst. Unerwartet lockerte sich der Druck auf Katinkas Hand. Katinka schloss die Augen. Nicht hinsehen. Nicht Opfer werden. Als sie einen Blick wagte, sah sie die Silhouetten der beiden Eindringlinge so lautlos, wie sie gekommen waren, aus dem Büro verschwinden.
Nach wenigen Sekunden löste sich Katinka aus ihrer Erstarrung. Sie richtete sich auf und ging zum Fenster. Ein Wagen fuhr davon, schnell, aber ohne die kreischenden Reifen aus dem Fernsehen. Sie kniff die Augen zusammen, um das Kennzeichen zu entziffern, doch der Wagen war außer Sicht. Sie drehte sich um. Ihre Beine fühlten sich so zerbrechlich an wie Glas. Hinter ihrem Brustbein tönten dumpfe Schläge.
»Seid ihr o. k.?«, flüsterte sie und erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Sie hörte sich rau und trocken an, als rieben knisternde Herbstblätter aneinander. »Ljubov? Jens? Alles in Ordnung?«
Niemand antwortete ihr. Sie fühlte ein aufdringliches Kichern in ihrem Hals prickeln. Tastete sich an der Wand entlang zum Lichtschalter. Als sie ihn endlich drückte, blieb der Raum dunkel.
»Ljubov?«, rief sie.
»Sicherung«, kam es heiser. Es folgte ein außerirdischer Hustenanfall. Katinkas Augen gewöhnten sich allmählich an das Dämmerlicht. Die Straßenbeleuchtung warf helle Streifen ins Büro. Sie fand ihren Rucksack neben Falks Füßen und suchte nach der Taschenlampe. Irgendwie verlor sie das Gleichgewicht, trat auf einen der heruntergefallenen Ordner, geriet ins Straucheln und stieß gegen Falk. Er rutschte vom Stuhl und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden. Endlich hatte sie die Taschenlampe gefunden und schaltete sie mit zitternden Fingern an.
»Jens?« Sie leuchtete ihm ins Gesicht. Seine erstaunten Augen glotzten durch Katinka hindurch. Ein dunkler Spalt zerschnitt seine Stirn.
5. VABTHGAFAYZLCOFFJXQHFF
»Der ist tot«, flüsterte Katinka. »Tot. Ljubov?«
Die Anwältin kam um ihren Schreibtisch herum und stellte sich so dicht neben Katinka, dass ihre Schultern sich berührten. Sie atmete heftig. In ihren Lungen rasselte und stampfte es wie im Maschinenraum eines Eisbrechers.
»Jens«, murmelte sie, bückte sich und tastete nach seinem Puls. »Scheiße.« Sie blickte in Katinkas Gesicht, richtete sich auf, ließ ein paar russische Sätze vom Stapel, griff nach einer Zigarettenschachtel, zündete sich eine ›Nil‹ an, warf das Feuerzeug auf den Schreibtisch und sagte, während Qualm aus Nase und Mund kam: »Die Bullen sind gleich hier. Der Alarm geht bei einem Sicherheitsunternehmen ein. Wird automatisch weitergeleitet.«
Katinka ging ein paar Schritte von Falk weg. An der Tür zog sie ihre Waffe und trat auf den Flur. Alles war ruhig. Die Eingangstür zur Kanzlei hing schief in den Angeln. Es roch verbrannt. Katinka fand den Sicherungskasten und leuchtete hinein. Der Hauptschalter war umgelegt. Sie steckte die Waffe zurück ins Holster, lehnte sich gegen die Anmeldetheke und suchte ihr Handy. Wenigstens ging Hardo gleich an den Apparat.
»Was ist?«, fragte er gehetzt.
»Falk ist tot«, sagte Katinka. Sie hörte das Martinshorn, die Einsatzwagen bogen vom Schönleinsplatz auf die Willy-Lessing-Straße. In kurzen Worten schilderte sie, was passiert war. Er versprach, so schnell wie möglich zu kommen.
Die Beamten, die in die Kanzlei stürmten, kannten Katinka nicht und verhielten sich ziemlich ungemütlich, bis Ljubov eine Litanei juristischer Fachterminologie absonderte und Katinka ihre Lizenz vorzeigte. Sie wies auf die Bürotür und sagte: »Ein Toter. Kopfschuss, gezielt. Die müssen lasergesteuerte Waffen und
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