Spinnefeind
machten seine Wangen grau. In seinen Augen stand der Schock. Katinka hielt mit den Händen ihr Kleid vor der Brust zusammen.
»Du brauchst mir nicht zu sagen, was ich alles Blödes gemacht habe, ich weiß es selbst.«
Er ging gar nicht darauf ein.
»Haben sie …?«
»Nein. Haben sie nicht. Aber beinahe.« Sie fröstelte. »Sie haben mir fast alles ausgezogen, was ich anhatte, aber ich habe mich gewehrt, und dann ist ein gewisser Sergej auf den Plan getreten. Da haben sie von mir abgelassen. Ich bin raus aus dem Klub, die beiden Idioten kamen mir nach.«
Es begann zu nieseln.
»Ljubov ist mit mir hergekommen. Sie kennt die Typen. Wahrscheinlich ist sie noch im Klub, das hier ist ihr Auto.«
»Schon gut.« Hardo strich ihr über die Wange. »Du brauchst jetzt nichts zu erklären …«
»Das Fenster habe ich eingeschlagen, weil meine Pistole drin war.« Verdammt, warum zittert meine Stimme so, dachte sie, ohne zu bemerken, dass ihr ganzer Körper bebte. Sie hatte fast 24 Stunden nicht geschlafen. Sie konnte nicht mehr.
»Versuchst du es trotzdem noch mal mit mir? Obwohl ich so ein Jammerlappen bin? Oder schickst du mich in die Wüste?«
Ihr Fuß tat weh, und wenn sie versuchte, gerade zu stehen, zog es brutal in ihrem Bauch. Vielleicht täuschte sie sich, aber sie hatte den Eindruck, in Hardos Augen stiegen Tränen. Seine Brust hob und senkte sich unter seinen schweren Atemzügen.
»Du blutest«, sagte er, als sei diese simple Feststellung das Einzige, wozu er imstande war. »Am Fuß. Und nein, ich schicke dich nicht in die Wüste. Natürlich nicht, du Dussel. Hast du Schmerzen?«
»Lass mal«, sagte Katinka und fand, dass ihr der Hochmut gut stand. »Es geht schon.«
»Der Krankenwagen ist hier, Chef«, sagte jemand. »Wird der Notarzt gebraucht oder nicht?«
»Soll warten.« Hardo zog sein Hemd aus und legte es Katinka um die Schultern. Er trug ein T-Shirt darunter, auf dem ›Beck’s‹ stand. Katinka hatte genug Geistesgegenwart übrig, um darüber zu staunen, dass der überzeugte Bamberger Kommissar Werbung für ein norddeutsches Pils machte. »Du brauchst keine Angst zu haben, ich lasse dich nicht ins Krankenhaus. Aber die Wunde am Fuß sieht tief aus, die muss desinfiziert und verpflastert werden.«
Der Notarzt war ein junger Mann mit einem frechen Lachen.
»Ich will keine Beruhigungsspritze oder so was«, sagte Katinka.
»Brauchen Sie nicht«, antwortete er. »Das haben wir gleich. Hm, bisschen verdreckt der Schnitt. Aber egal. Vorsicht, jetzt brennt es kurz. Geht sofort vorbei.«
Zwei Sanitäter mussten ihr Bein festhalten, damit der Arzt die Wunde reinigen konnte, so sehr zitterte sie. Auch die Rettungsdecke, die sie ihr gaben, half nicht. Ab und zu hörte sie Hardos Stimme von draußen und dann großes Gekreische. Wollmütze. Er stand unter Drogen, war in seinem derzeitigen Zustand eine lahme Ente. Also hatten sie alle drei. Und mit Ljubov würde Katinka bei nächster Gelegenheit persönlich ein Hühnchen rupfen. Es begann, heftig zu regnen. Dicke Tropfen trommelten auf das Dach des Krankenwagens.
»Ich gebe Ihnen notfalls eine Schmerzspritze«, sagte der Notarzt. »Oder Ihr Kumpel von der Polizei besorgt Ihnen in der Apotheke ein paar Tabletten.«
Katinka winkte ab. Die Schmerzen waren zu vernachlässigen. Schlimmer waren das Zittern und die rasende Müdigkeit.
»Ich habe ein wasserabweisendes Pflaster drübergeklebt. Besorgen Sie sich noch eine Packung davon. Ist ganz nützlich, wenn man duschen will.«
»Danke, ich weiß, dass ich stinke wie ein Skunk.«
Er lachte.
»Nichts für ungut. Passen Sie auf sich auf.«
Katinka stieg aus dem Ambulanzwagen. Hatte sie ihre Sandalen im Klub weggeworfen? Jedenfalls stand sie barfuß auf der nassen Straße, auf einem Bein, wie ein Storch. Hardos Hemd war beinahe so lang, wie ihr Kleid in intaktem Zustand gewesen war. Wenn sie nur nicht so frieren würde. Aber der Regen war auch schön. Sie hob das Gesicht zum Himmel. Die Tropfen spülten die Gedanken weg und verwässerten die Erinnerungen und die Angst.
»Der Chef ist gleich bei Ihnen, Frau Palfy«, sagte ein Uniformierter.
»Wo ist eigentlich Sabine Kerschensteiner?«, fragte Katinka. Sie hätte einiges darum gegeben, ihre Polizisten-Freundin jetzt in der Nähe zu wissen. Sabine hätte wenigstens für eine Regenjacke gesorgt.
»Die nimmt an einem Lehrgang teil. Will Karriere machen.« Der Mann legte die Hand an die Mütze und verschwand.
Katinka sah sich um. Ein paar Meter weg stand
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