Spinnenkuss: Elemental Assassin 1 (German Edition)
würde.
Ich hielt mich im Schatten, als ich meinen Instrumentenkoffer öffnete und die Plastikhülle herauszog, die dem klassischen Instrument nachgebildet war. Unter dieser Plastikschale versteckt war ein Geheimfach mit meinen Werkzeugen für den Abend, inklusive eines sechzig Meter langen, dünnen Kletterseils. Ich verankerte das Seil an einem Fahnenmast aus Messing, der in den Balkon eingelassen war, und warf den Rest über die Klippen nach unten. Das graue Seil verschmolz mit dem grauen Gestein, und niemand, der nicht wusste, dass es dort hing, würde es je entdecken. Trotzdem suchte ich ein paar trockene braune Blätter vom Boden des Balkons zusammen und verteilte sie um den Sockel des Flaggenmastes, um das Seil noch besser zu verbergen. Es war unwahrscheinlich, dass sich überhaupt jemand hierher begeben würde, wenn man das Spektakel in der Oper bedachte, aber man wusste nie, was die Leute auf der Suche nach einer schnellen Zigarette oder schnellem Sex so alles anstellten. Es war immer besser, keine unnötigen Risiken einzugehen.
Während ich arbeitete, berührten meine Hände den Stein des Opernhauses. Der Granit sang unter meinen Fingerspitzen. Die Musik des Orchesters war schon lange in den Stein eingedrungen und durchströmte ihn jetzt wie eine pulsierende Erz-Ader. Ich schloss die Augen und drückte beide Handflächen gegen den rauen Stein. Der Klang war nach dem wahnsinnigen Kreischen des Irrenhauses so wunderbar, so rein, so schön, dass ich nach meiner Magie griff.
Ich schickte ein Rinnsal meiner Macht durch den Stein und gab ihm einen unterschwelligen Befehl. Die verschiedenen Granitflöze senkten und hoben sich in einer kleinen Welle, eine nach der anderen, als ließe ich meine Finger über die Tasten eines Klaviers gleiten. Dann beruhigte sich der Stein wieder. Ich erlaubte mir ein kleines Lächeln. Elementarmagie konnte genauso unterhaltsam wie tödlich sein.
Dann, nachdem ich meine Arbeit auf dem Balkon beendet hatte, griff ich nach meinem Cellokasten, öffnete die Balkontür und glitt wieder ins Gebäude.
Die Galerie war eine Erweiterung im obersten Stockwerk des Opernhauses, ein grauer nichtssagender Ort, der die Büros der leitenden Angestellten und der Verwaltung beherbergte. Das Areal war menschenleer und nur von kleinen Notstrahlern beleuchtet. Ich huschte zur Fluchttreppe und stieg mehrere Stockwerke nach unten, bevor ich das Treppenhaus in der ersten Etage des Opernhauses wieder verließ.
Es war, als hätte ich eine andere Welt betreten. Der Raum, der sich vor mir auftat, war kreisrund, ein riesiger Empfangssaal mit mindestens dreihundert Metern Radius. Eine Prunktreppe führte hinunter in die Lobby im Erdgeschoss, beleuchtet von einem atemberaubenden Kristalllüster, der aussah, als bestünde er aus einer Ansammlung von gewaltigen Eiszapfen. Der Teppich war in einem warmen Burgunderton gehalten, durchzogen von einem feinen Paisleymuster in Gold. An den Wänden hingen schwere farblich auf den Teppich abgestimmte Behänge, die jedes Geräusch dämpften, hin und wieder aufgelockert durch einen Spiegel oder ein Gemälde. In der Lobby unter uns war der Boden aus weißem Marmor mit schwarzen und burgunderfarbenen Steinplatten dazwischen.
Nur ein paar Blocks entfernt konnte man es sich für fünfzig Scheine von einer Vampirnutte im Auto besorgen lassen, während Obdachlose sich auf der Suche nach etwas Essbarem durch die Mülltonnen gruben. Aber hier waren die Lippenstiftabdrücke auf den Champagnergläsern das Dunkelste und Schmutzigste, was man zu sehen bekam – mal abgesehen von den Seelen derer, die das schäumende Zeug in sich hineinkippten.
Leute schlenderten durch den Empfangssaal und über die Prunktreppe nach oben oder unten. Wie es jeder elitären Kunstveranstaltung in Ashland entsprach, trugen die Gäste Designerkleider in gedämpften Farben, schicke schwarze Smokings und Kleidung, die genauso kultiviert war wie die Einrichtung. Juwelen, klein, mittel und groß, blitzten, glitzerten und leuchteten an Hälsen, Handgelenken und Fingern. Die Steine erzählten mir in leisem, aber stolzem Flüsterton von ihrer eigenen Schönheit und Eleganz. Manche Gäste nippten an Champagner, mit oder ohne Orangensaft, während andere sich an den mit Hühnchenspießen, Frühlingsrollen und anderen kleinen Horsd’œuvres beladenen Tabletts der Kellner bedienten. Unterhaltungen zwitscherten durch den Raum, unterlegt vom tiefen Rumpeln männlichen Lachens und plötzlichen scharfen Kicheranfällen
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