Spion auf der Flucht
alle es sahen, denn er war der geborene Streber.
Aber heute hastete er mit hängender
Zunge zum Parkplatz.
Es war warm. Ein milder Spätsommertag.
In langen Reihen warteten die Wagen der WBCB-Angestellten.
Ludwig fand seinen Renault, glitt
hinters Lenkrad und machte sich klein.
Er wartete. Durch die Scheiben von fünf
Fahrzeugen konnte er Rödermeyers Mercedes sehen.
Da! Jetzt kam der Chef-Konstrukteur. Er
trug immer teure Anzüge und hatte mindestens 40 Seidenkrawatten. Auf seiner
Brille spiegelte sich Sonnenlicht.
Er schloß den Mercedes auf, warf den
Aktenkoffer auf den Rücksitz und stieg ein.
Ludwig sah, wie er sich eine schlanke
Zigarre anzündete und am Rückspiegel fummelte. Dann fuhr er ab.
Ludwig folgte ihm in die Innenstadt,
hielt Abstand, ließ immer drei oder vier Wagen zwischen sich und dem Mercedes,
hatte keine Mühe dabei und kam zu dem Schluß, daß Spione und Geheimagenten ein
faules Leben haben.
Rödermeyer parkte vor dem Hauptbahnhof.
Ludwig mußte aufrücken, als der
Chefingenieur ins Untergeschoß eilte.
Tosender Lärm erfüllte den Hbf.
Reisende eilten, Penner lungerten, Taschendiebe spähten, Gastarbeiter
schwatzten. In den Bierkneipen hockten die Arbeitsscheuen, und man fragte sich,
woher die tagtäglich das Geld dafür nehmen.
Ludwig sah gerade noch, wie Rödermeyer
in der Herrentoilette verschwand.
Aha! dachte er. Jeder muß müssen. Aber
das könnte er auch woanders. Der Grund für sein Herkommen ist das nicht. Trifft
er hier wen? Logo! Und zwar einen neuen Muskelmann, nachdem der alte versagt
hat. Und der neue soll mich durch die Mangel drehen, damit ich aufgebe.
Vorsichtig schob er die Tür auf.
Spaltweit nur — aus Sorge, Rödermeyer und sein Schläger könnten ihn bemerken.
Er erwischte den richtigen Moment.
Eben verzog sich der Chefingenieur in
die fünfte, nein, sechste Klo-Kabine. Schnapp! riegelte er sich ein.
Zu zweit sind sie dort nicht, dachte
Ludwig. Also kein Treffen, sondern...
„Darf ich mal vorbei?“ fragte jemand
hinter ihm.
Ein dicker Typ hatte es eilig, öffnete
bereits den Gürtel und hatte einen gequälten Ausdruck auf dem Teiggesicht.
Ludwig ließ ihn vorbei, lief zu Kabine
fünf und riegelte sich ein.
Rödermeyer neben ihm betätigte bereits
die Spülung und schob ab.
Toter Briefkasten im WC, dachte Ludwig.
Ahnte ich’s doch. Er hinterläßt dort eine Nachricht. Das bedeutet, er trifft
seinen Muskelmann-Schlägertyp nicht, unterhält keinen direkten Kontakt zu ihm,
kennt ihn vielleicht gar nicht persönlich — was er wegen seiner Position
tunlichst vermeiden sollte — hat also nur telefonisch den Auftrag abgesprochen:
Worum es geht, und die Höhe der Entlohnung.
Ludwig schlüpfte in Kabine sechs, die
sauberer war als die erste, und brauchte nicht lange zu suchen.
Als einziges Versteck bot sich der
Spülkasten an.
Der Briefumschlag steckte dahinter.
Ludwig riß ihn auf.
Als er sein Foto in der Hand hielt, überlief
es ihn kalt.
Außerdem enthielt der Umschlag ein
Bündel Hunderter — zehn insgesamt.
Auf der Rückseite des Fotos war in
Druckbuchstaben Ludwigs Adresse vermerkt.
„Verdammt!“ murmelte er. „Hund,
verfluchter! Na, warte!“
„Was ist?“ fragte jemand aus Kabine
sieben.
„Nichts. Ich... äh... führe ein
Selbstgespräch. Hab an meinen Chef gedacht.“
„Jaja“, kam die Antwort. „Diese
Gedanken verfolgen einen. Sogar bis hierher.“
Ludwig rannte in die Halle hinauf.
In einem Schreibwarenladen kaufte er
eine 50er-Packung Briefumschläge. Er brauchte nur einen. Aber der Verkäufer
lehnte es ab, deshalb eine Packung anzubrechen.
Ludwig suchte sich eine ruhige Ecke —
gleich hinter dem Milchmix-Ausschank, wo nur ein altes Mütterchen einen Bananen-Drink
zuzzelte.
Er nahm eins der von ihm geknipsten
Rödermeyer-Fotos aus der Brieftasche und knickte es in der Mitte.
Die rechte Hälfte, die den Franzosen
Perrigon zeigte, trennte er ab. Auf die Rückseite der anderen Hälfte schrieb er
Rödermeyers Adresse.
Er schob Foto und Geld ins Kuvert und
brachte es in das Versteck zurück.
Ich kann davon ausgehen, dachte er, daß
der Schlägertyp auch Rödermeyer noch nie gesehen hat. Sonst wäre diese Art der Abwicklung
nicht nötig. Wenn ich recht habe — hahah! — wird Rödermeyer sich wundern.
5. Ein blonder Gorilla
Der Waldsaumweg führte am Waldsaum
entlang. Vermutlich hatte er daher seinen Namen.
Der Wald lag außerhalb von Grünauken.
Über den Lenker seines neuen Rennrades
gebeugt, preschte Tim
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