Spion der Liebe
rief ihre ältere Schwester Caroline im gleichen scharfen Ton, den auch die Mutter meistens anschlug.
Serenas Schützlinge waren kleinere Versionen ihre unscheinbaren, korpulenten Mutter, und das galt auch für das Benehmen der beiden. Zwölf und vierzehn Jahre alt, mußten sie sich auf ihr Debüt in besseren Gesellschaftskreisen vorbereiten, in denen ihnen der Reichtum ihres Vaters distinguierte Ehemänner verschaffen sollte. Es war schwierig, die eitlen, selbstsüchtigen Mädchen zu unterrichten, und ihre miserablen Französischkenntnisse wurden ebenso wie die mangelnden künstlerischen Talente der Unfähigkeit ihrer Gouvernante zugeschrieben.
»Schauen wir uns französische Modehefte an?« schlug Serena vor, weil sie wußte, daß ihre Schülerinnen diesen Zeitvertreib den langweiligen Schreibübungen vorziehen würden. In ihrer trüben Stimmung wäre sie dem Desinteresse und den mürrischen Mienen der Mädchen nicht gewachsen gewesen.
»Können wir dabei Schokoladenbonbons essen?« fragte Caroline.
Serena zögerte, denn Schokoladenbonbons waren streng verboten, da Mrs. Totham versuchte, ihre rundlichen Töchter in hinreißende Schönheiten zu verwandeln – eine unlösbare Aufgabe.
»Wenn Sie uns keine Bonbons geben, sage ich Maman, Sie hätten alle gegessen«, warnte Caroline.
»Nehmt euch, was ihr wollt«, seufzte Serena. Sie mochte nicht mit den mißgelaunten Mädchen streiten. Außerdem nahm sie Carolines Drohung sehr ernst. Vor zwei Wochen hatten die beiden alle Süßigkeiten verspeist und behauptet, Serena sei die gierige Naschkatze gewesen. Deshalb hatte Serena zwei Tage lang auf ihre Mahlzeiten verzichten müssen. Das würde sie nicht noch einmal riskieren. »Hol die Bonbons, Caroline. Und du such das neue Modeheft mit dem gelben Musselinkleid auf der Titelseite heraus, Hannah. Inzwischen bestelle ich bei eurem Kindermädchen Schokolade und Toast.«
»Mit viel Sahne«, verlangte Caroline.
»Mit Schlagsahne«, ergänzte Hannah. »Und ich will zwei Tassen.«
»Also gut.« Serena ging ins angrenzende Nähzimmer, wo das Kindermädchen auf einem Sofa schlief. Nach der Begegnung mit Mrs. Totham war ihr Kampfgeist vollends erloschen. Um ihre Nerven zu schonen, hätte sie sogar gebratene Elefanten und Straußeneier für ihre Schülerinnen bestellt.
Die beiden Männer, die im Arbeitszimmer von Seth House saßen, sahen einander verblüffend ähnlich. Deshalb wurden sie von der Gesellschaft als ›erhabenes Paar‹ bezeichnete. Groß und kräftig gebaut, das dunkle Haar modisch à la Titus geschnitten, charmant und ungewöhnlich attraktiv, genossen sie schon lange die Aufmerksamkeit aller schönen Frauen.
Wenn sie gesellschaftliche Veranstaltungen oder einen Club besuchten, zogen sie alle Blicke auf sich. Die meisten Männer fanden es unfair, daß das Schicksal Vater und Sohn mit so vielen Vorzügen gesegnet hatte.
Seit der Herzog von Seth eine junge Schottin geheiratet hatte, amüsierte er sich nicht mehr mit anderen Frauen. Um so eifriger trat der geliebte Sohn in seine Fußstapfen.
»Natürlich will ich dir die Freuden eines gesunden jungen Mannes nicht mißgönnen«, bemerkte der Herzog eher resignierend als tadelnd und musterte seinen ältesten Sohn über den Schreibtisch hinweg, auf dem sich mehrere Papiere stapelten. »Aber du solltest an den Familienfeiern teilnehmen. Entschuldige dich bei Maman und erzähl ihr nicht, warum du Nells Geburtstagsfest versäumt hast.«
»Ja, gewiß.« Unbehaglich rutschte Beau in seinem Sessel umher. »Tut mir leid.«
Sinjin, der Herzog von Seth, lächelte schwach. »Wäre mir bewußt gewesen, wie reizvoll du Miss Gambetta finden würdest, hätte ich Davis zu dir geschickt, um dich rechtzeitig an die Party zu erinnern.«
»Kennst du Miss Gambetta?«
»Ich sah sie auf der Bühne …« Sinjins Wimpern senkten sich sekundenlang. »Und im letzten Herbst traf ich sie bei Farleys Junggesellenparty.«
Abrupt richtete sich Beau auf. »Hast du dich mit ihr amüsiert?« Als er das Licht der Welt erblickt hatte, war sein Vater noch sehr jung gewesen. Und jetzt, mit fünfundvierzig, betörte er immer noch viele Frauenherzen.
»Bist du eifersüchtig?« fragte Sinjin belustigt, und seine blauen Augen funkelten. »Ich gebe dir einen guten Rat. Fahr morgen nach Neapel. Miss Gambetta wird sich wohl kaum vor Sehnsucht nach dir verzehren.«
»Nun, war sie deine Geliebte?« Beau empfand keine Eifersucht, sondern Neugier. Immerhin faszinierte Farleys Junggesellenparty die
Weitere Kostenlose Bücher