Spion der Liebe
Beau seine jüngere Schwester an.
»Jetzt ist keine mehr da«, erklärte Nell. »Hast du endlich gefrühstückt? Maman hat gesagt, ich kriege ein purpurrotes Kleid.«
Verwirrt hob Sinjin, der seiner Frau am Frühstückstisch gegenübersaß, die Brauen.
»Beruhige dich, Sinjin«, bat Chelsea, »sie trägt das Kleid nur zum Spielen.«
»O nein!« protestierte Nell. »Du führst mich doch aus, wenn ich meine Kleider von Madame La Clerque bekommen habe, Beau?«
Hastig schaute Beau von seiner Stiefmutter zu seinem Vater. Die Farbe Purpurrot blieb normalerweise den Kurtisanen Vorbehalten. »Sicher gehen wir irgendwohin«, erwiderte er diplomatisch.
»Wohin denn?« fragte Nell. »Es muß fashionable sein.«
»Vielleicht möchtest du die Jungs an der Rennbahn mit deinen neuen Kleidern beeindrucken«, schlug Beau vor.
»O ja!« jubelte Nell, ein besserer Jockey als so manche jungen Männer. Da würden ihre Freunde sicher staunen.
»Aber ganz früh am Morgen«, murmelte Sinjin so leise, daß ihn nur sein Sohn verstand.
Beau nickte. »Willst du zur Schneiderin mitkommen, Sally?«
»Aber Beau!« jammerte Nell. »Das ist mein Geburtstagsgeschenk. Sicher fällt sie uns auf die Nerven und verdirbt uns den ganzen Spaß … Ja, schon gut«, fügte sie hinzu, nachdem ihr die Mutter einen strengen Blick zugeworfen hatte. »Sie kann mitkommen. Aber sie darf nicht heulen.«
»Ich heule nicht«, versprach Sally und schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre blonden Löckchen wippten. »Niemals!«
Lächelnd neigte sich Beau zu ihr. »Du sitzt auf meinem Schoß, und wir helfen Nell, hübsche Kleider auszusuchen.«
2
Eine sonderbare Pose für den berüchtigten Lebemann, dachte Madame La Clerque am nächsten Morgen, als Beau St. Jules auf ihrem eleganten, mit rosa Moire bezogenen Sofa saß, seine jüngere Schwester auf den Knien. Noch nie hatte die fashionabelste Londoner Schneiderin den jungen Earl von Rochefort ohne eine seiner Gespielinnen in ihren Anproberäumen gesehen. Er zählte zu ihren besten Kunden.
Normalerweise lächelte er verführerisch, wenn sich seine Freundinnen vor ihm spreizten und ihre neue Garderobe vorführten. Jetzt war er ein liebevoller, fürsorglicher Bruder. Er kaufte ein Dutzend Kleider für die junge Miss Giselle, widersprach ihr nicht, wenn sie unpassende Farben und Stoffe wählte, und fragte kein einziges Mal nach dem Preis. Als das Kind auf seinem Schoß zu quengeln begann, erlaubte er ihm einen kostbaren chinesischen Seidenballen zu entrollen. Zu spät bemerkte er Madame La Clerques Entsetzen und sagte beiläufig: »Packen Sie Sallys Seide zu den Kleidern. Vielleicht hat meine Mutter Verwendung dafür.«
Für Madame La Clerque war der Vormittag äußerst profitabel und lieferte ihr zudem amüsanten Gesprächsstoff. Die meisten ihrer Kundinnen interessierten sich sehr für Beau St. Jules’ Aktivitäten. Was sagte er? Wie sah er aus? Wen hat er begleitet? Tatsächlich? Seine kleinen Schwestern? Unfaßbar …
Nachdem er seine brüderlichen Pflichten erfüllt hatte, besprach Beau mit seinen Eltern, welche Pferde er von Neapel nach England bringen sollte, falls die Tiere die französische Besatzung und die Kämpfe der Royalisten überlebt hatten. Der Landsitz mit den großen Stallungen – auf halben Weg zwischen Tunis, dem Heimatland der Vollblüter, und dem Gestüt in Yorkshire – diente den Pferden als Raststation während der langen Reise.
»Wenigstens brauchst du die französische Flotte nicht zu fürchten«, meinte sein Vater.
»Welche französische Flotte?« entgegnete Beau grinsend. Nelsons Sieg bei Abukir im Jahr 1798 hatte die französische Marine stark geschwächt. Was davon noch übrig war, unterstand nun dem Kommando des verängstigten Bruix, unter britischer Blockade in Brest.
»Die Freibeuter sind immer gefährlich«, mahnte seine Stiefmutter.
»Diesen Schurken müßte ich mühelos davonsegeln.«
»Befehligt Berry die Siren ?« Sinjin saß neben seiner Frau auf einem Sofa und streichelte ihre Hand. Nur zu gut verstand er ihre Sorge. Als Beau nickte, beteuerte sein Vater: »Bei Berry ist er in den besten Händen, liebste Chelsea, also mußt du dich nicht aufregen. Und die Waffen, Beau?«
»Zehn Kanonen. Letzte Woche kamen vier dazu.«
»Das klingt ja schrecklich!« Chelsea runzelte die Stirn. »Ist diese Reise wirklich nötig?«
»Du könntest noch eine Weile warten, Beau«, schlug Sinjin vor. »Falls die Pferde noch leben, sind sie in Neapel gut aufgehoben.«
»Seit
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