Spion der Liebe
langsam. Die scharfe Klinge an der Kehle, glaubte sie, einzelne Bilder aus ihrem Leben zu sehen. Mit jedem Schritt kam sie dem Tod näher. Wie lange dauerte es, bis man verblutet, fragte sie sich.
Beau ließ das Messer in Hortons Hand nicht aus den Augen. Stumm zählte er die Schritte. Zwei, drei … Großer Gott, beinahe wäre sie gestolpert. Er spürte den Schweiß, der an seinem Rücken hinabrann. Vier – Vorsicht … Fünf, sechs … Wenn Horton auf den Kutschbock klettern und Serena mitnehmen wollte, mußte er die Hand benutzen, die jetzt das Messer umklammerte.
Jetzt …
Ein Schuß knallte. Pfeifend sirrte eine Kugel durch die Luft, und Hortons Gesicht verschwand in einer Explosion aus Blut und Knochen. Wie durch einen Nebelschleier sah Serena den Mörder zu Boden sinken. In ihren Ohren verebbte das Echo ihres eigenen schrillen Schreis, dann wurde sie von schwarzen Schatten eingehüllt.
Ehe sie zusammenbrach, sprang Beau vor und nahm sie auf die Arme. »Zum York Hotel!« befahl er dem Kutscher und trug Serena zum Wagen. Als seine Redingote aufschwang, wurde das Loch sichtbar, das die Kugel in den Stoff der Tasche gebohrt hatte, an den Rändern vom Schießpulver verkohlt. Keuchend rannte der Hafenmeister herbei. »Verständigen Sie die britischen Behörden«, bat Beau.
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg er mit Serena in die Kutsche. Behutsam legte er sie auf die Lederbank. Während der Fahrt zum Hotel wischte er ihr mit seinem Taschentuch Hortons Blut von den Wangen. Ihre Blässe erschreckte ihn, und er tastete nach ihrem Puls. Erleichtert spürte er ein gleichmäßiges Pochen. Manche Menschen starben vor Angst, und Serena hatte Höllenqualen ausgestanden. Aber sie war sehr tapfer gewesen.
Sobald er vor dem Hotel aus dem Wagen stieg, die immer noch bewußtlose Serena auf den Armen, rief der Portier um Hilfe. Beau betrat die Halle, wo ihm mehrere beflissene Angestellte entgegeneilten, angeführt vom Hotelier. »Ich brauche eine Suite«, erklärte er. »Bedauerlicherweise hat die Dame einen Unfall erlitten. Rufen Sie einen Arzt.«
»Ja, sofort, Lord Rochefort«, antwortete der Hotelier. Der Neffe des britischen Botschafters war im York wohlbekannt.
»Rochefort!« übertönte eine tiefe Stimme das Gemurmel der Hotelgäste, die sich in der Halle aufhielten und Beaus Ankunft neugierig beobachteten.
Ehe Beau fliehen konnte, bahnte sich Lord Edward Dufferin einen Weg durch das Hotelpersonal. Da er es nicht gewohnt war, sich so schnell zu bewegen, mußte er erst einmal nach Atem ringen, bevor er fragte: »Bist du in Schwierigkeiten, St. Jules?« Interessiert musterte er die Blutflecken auf Serenas weißem Spitzenkragen. »Brauchst du meinen Beistand?«
»Nein, danke, Duff«, erwiderte Beau und verfluchte das Schicksal, das ihn ausgerechnet mit einem alten Freund seines Onkels zusammenführte. Er hatte nicht geplant, Damien zu besuchen. »Die Dame fiel in Ohnmacht und verletzte sich bei ihrem Sturz.«
»Ist sie Engländerin?« Natürlich wollte Lord Dufferin wissen, wie sie hieß.
»Eine entfernte Verwandte, Duff«, antwortete Beau ausweichend.
Unglücklicherweise öffnete Serena in diesem Moment die Augen, schaute zu Beau auf und wisperte: »Liebling …«
»Ah, eine entfernte Verwandte …« Eddy Dufferin hob vielsagend die Brauen. Dann grinste er verschwörerisch.
»Wenn du uns entschuldigen würdest …« Beau hatte nicht vor, irgendwelche Einzelheiten zu verraten, die sein Onkel und die ganze Familie erfahren würden. Hastig trug er Serena in die Säulenhalle, an der die Hotelzimmer lagen.
7
»Wer war das?« fragte Serena mit schwacher Stimme, die Augen halbgeschlossen.
»Niemand«, entgegnete Beau. »Wie fühlst du dich?«
»Ich lebe noch, und das verdanke ich dir.«
»Jetzt haben deine Wangen wieder etwas Farbe bekommen. Du warst sehr tapfer.«
»Wenn meine Pistole funktioniert hätte, wäre Horton schon etwas früher gestorben.«
Beau lachte leise. »Was für ein gefährliches Mädchen du bist! Erinnere mich dran, daß ich meine Waffen an Bord der Siren außerhalb deiner Reichweite verwahren muß.«
»Dir würde ich nichts antun, Liebling. Nun hast du mir schon zweimal das Leben gerettet.«
»Oh, es war mir ein Vergnügen, Mylady«, erwiderte er galant und blieb am Ende der Säulenhalle stehen. »Ich glaube, da ist unsere Suite.« Ungeduldig wartete er, bis ein Hotelangestellter ihn einholte – dicht gefolgt vom diensteifrigen Hotelier – und die Tür aufsperrte.
»Warst du schon
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