Spion der Liebe
stellvertretende Gesandte.
»Zweifellos auf höheren Befehl«, meinte Beau und sank in einen bequemen Sessel.
»Da Genua belagert wird und die Lage verzweifelt ist, braucht Massena Verstärkung. Nervös klopfte Lock auf seine Taschenuhr. »Aber Napoleon hüllt sich in Schweigen. Und unsere üblichen Informationsquellen scheinen zu versiegen.«
»Nun müßte Bonaparte seinen Feldzug bald beginnen, sonst ist Massena verloren.«
»Erst letzte Woche schlug Moreau in Preußen zu.«
»Glauben Sie, daß Bonaparte eine Kampagne in Deutschland plant? Läßt er General Massena im Stich?«
Der Konsul zuckte die Achseln. »Das weiß niemand – und der verdammte Beraterstab unseres Premierministers schon gar nicht! Die haben keine Ahnung, wie man einen Krieg führt.«
»Und den Österreichern darf man nicht trauen. Thugut verfolgt seine eigenen territorialen Interessen.«
»Schon von Anfang an«, seufzte Lock.
»Ich werde in Genua mit einem Adjutanten aus dem österreichischen Stab sprechen. Diesen Mann kenne ich recht gut. Dann reite ich vielleicht mit Berry nach Norden. Mal sehen, was ich dort herausfinde.«
»Dafür wären wir Ihnen sehr dankbar, Rochefort.« Besorgt runzelte Charles Lock die Stirn. »Wir tappen völlig im dunkeln. Seit Lord Hamilton abgereist ist und Sir John Acton seine Flitterwochen genießt, gelangen nur vage Informationen zu uns.«
»Hat Sir John tatsächlich seine dreizehnjährige Nichte geheiratet?«
»In der Tat, so peinlich das auch erscheinen mag.«
»Und wie teuer war die päpstliche Dispens?«
»Die konnte er sich offenbar leisten. Das junge Ding verkleidete sich als Junge und versuchte durchzubrennen. Aber die Kleine wurde eingefangen, und jetzt befindet sich das ›glückliche Paar‹ an Bord der Foudroyant, zusammen mit Nelson und den Hamiltons.« 10
»Sir John ist verdammt alt.«
»Vierundsechzig.«
Angewidert schnitt Beau eine Grimasse. »So etwas würde ich einem Kind niemals antun.«
»Nun, so bleibt das Erbe der Actons wenigstens in der Familie. Noch etwas Cognac?«
»Nein, danke. In Zukunft muß ich bei klarem Verstand bleiben. Vor allem auf dem Ritt nach Norden.«
»Wenn irgend jemand Erfolge erzielen kann, dann nur Sie, Rochefort«, meinte der Generalkonsul mit einem wohlwollenden Lächeln. »Natürlich will ich Sie nicht unter Druck setzen, aber wir alle rechnen ganz fest mit Ihnen.«
Beau stand auf. »Dann will ich mich jetzt verabschieden. Sie erhalten unsere Nachrichten über die Blockadeschwadron. Hoffentlich kann der Premierminister die Österreicher zur Zusammenarbeit bewegen.«
»Es wäre noch besser, er würde Landstreitkräfte nach Italien schicken.«
»Vielleicht erfahre ich irgendwelche Neuigkeiten, die Pitt dazu veranlassen könnten.«
Am 6. Mai, um vier Uhr morgens, stieg Bonaparte in Begleitung seines Sekretärs Bourrienne die breite Treppe der Tuillerien herab, die von seinen Räumen zum Innenhof führten. Hastig stiegen sie in eine Postkutsche. Das Tor schwang auf, und das Gespann galoppierte hinaus. Allzulange würde Napoleon nicht wegbleiben. Nur eine Routineinspektion, hatte er verlauten lassen.
In halsbrecherischem Tempo fuhren sie dahin. Vor zwei Tagen hatte Duroc die Reisevorbereitungen getroffen. Die Postmeister warteten in den Stationen, die besten Pferde waren rechtzeitig aufgezäumt worden. In aller Eile wechselte man die Gespanne.
Um halb acht Uhr abends erreichten sie Avalion. In nur fünfzehn Stunden hatten sie hundertfünzig Meilen zurückgelegt. Am 7. Mai kam Napoleon in Dijon an, am 8. in Genf, wo Berthier den Aufbruch der Reserve vorbereitete. Nach dem Plan des Ersten Konsuls sollte die Kampagne am 10. Mai beginnen. Der Abmarsch verzögerte sich um drei Tage, weil man auf die Artillerie warten mußte. In dieser Zeit inspizierte Napoleon die Truppen und hielt mehrere Ansprachen, die österreichische Spione vom eigentlichen Ziel der Reserve ablenken sollten.
Und dann begann der Aufstieg zum Großen Sankt Bernhard. Um diese Jahreszeit lag eine dicke Schneedecke auf dem Paß. Nur ein schmaler Maultierpfad verband das Schweizer Rhone-Tal mit den Ebenen der Lombardei. Dreiundfünfzigtausend Mann, fünftausend Pferde, sechzig Kanonen und dreihundert Wagen sollten das Aosta-Tal an der Schwelle des Piemont erreichen, fünfundzwanzig Meilen voller Eis und Schnee und Felsen bewältigen, zu einer Jahreszeit, in der man mit gefährlichen Stürmen und Lawinen rechnen mußte. Am Beginn der Kampagne hatte jeder Soldat eine Ration für neun
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