Spion der Liebe
schweigend in den Sätteln und studierten die Anzeichen, die auf den Vormarsch einer großen Streitmacht hinwies.
»Sie rücken nach Osten vor«, bemerkte Berry schließlich.
»Wie viele? Und wohin?« Die Stirn gerunzelt, starrte Beau das Erdreich an, das mehrere tausend Soldaten passiert haben mußten.
»Nicht nach Genua, darauf möchte ich wetten. Und wo ist die Artillerie?«
»Auf der anderen Seite der Festung, würde ich sagen. Diese Fußsoldaten konnten keine schweren Waffen schleppen. Bevor wir Melas Bericht erstatten, müssen wir das Heer finden.«
Abends blickten sie auf Ivrea hinab, das den Eindruck eines Operationszentrums erweckte. Was sie nicht wissen konnten – Napoleon schlief bereits friedlich, in der sicheren Gewißheit, daß er den Feind völlig verwirrt hatte.
Beau und Berry übernachteten in den Bergen. Um die Kampfkraft des Feindes zu ermessen, brauchten sie das Tageslicht. Im Morgengrauen brach das französische Heer sein Lager ab und marschierte weiter nach Osten.
»Großer Gott, das sind auf jeden Fall vierzehn oder fünfzehn Divisionen.« Durch sein Fernglas beobachtete Beau die Soldatenkolonne, die sich mindestens eine Meile lang auf der Straße erstreckte. »Und sie marschieren offenbar nach Mailand. Bonaparte überläßt Massena seinem Schicksal.«
»Um Krieg zu führen, würde Napoleon seine Artillerie benötigen.«
»Und das österreichische Arsenal liegt nur neunzig Meilen entfernt, in Mailand. Merde!« fluchte Beau.
Im Rekordtempo legten sie die vierzig Meilen nach Turin zurück und hielten häufig an, um frische Pferde zu kaufen.
Aber als sie Melas’ Hauptquartier erreichten, zauderte der siebzigjährige Kommandant zwei entnervende Tage lang, noch immer nicht überzeugt, daß ein so großes Heer die Po-Ebene erreicht hatte.
Erbost über die langwierigen Mechanismen in der österreichischen Kommandozentrale – ohne Befehle aus Wien konnte sie kaum agieren –, redete Beau mit allen Leuten, die ihm zuhörten, und drängte sie zur Eile.
Erst am Morgen des 1. Juni, als zwei von Melas’ Kommandanten französische Attacken meldeten, sandte der Kommandant eine Order an Ott und beauftragte ihn, die Belagerung Genuas unverzüglich aufzugeben und nach Norden zu marschieren. Während die Franzosen nach Mailand und Turin vorrückten, mußte er endlich die Initiative ergreifen.
In Genua hatte Ott soeben erfahren, Massena sei bereit, über Kapitulationsbedingungen zu verhandeln. Er steckte Melas’ Depesche in seine Tasche und ignorierte sie. Nach acht Wochen hatte er nicht die Absicht, die Belagerung so kurz vor dem Sieg zu beenden. Aber Massena zögerte die Verhandlungen bis zum 4. Juni hinaus, so daß Napoleon die benötigte Zeit gewann. An diesem Tag wurde der Kapitulationsvertrag unterschrieben. 11
Inzwischen war Napoleon in Mailand einmarschiert und versperrte dem österreichischen Rückzug den Weg.
Als Beau von Mailands Fall hörte, erfaßte ihn kalte Angst. Bald würde sich der Krieg in ganz Norditalien ausbreiten. Wenn Florenz auch nicht unmittelbar bedroht wurde, so schwebte Serena doch in Gefahr. Mußte er sich für ihre Sicherheit verantwortlich fühlen? Nein, wohl kaum …
Er verabschiedete sich von Admiral Keith und segelte nach Palermo. Von dort aus würde er, nach einem kurzen Umweg über Di Cavalli, wo er seine Pferde abholen wollte, nach England segeln.
Aber als sich die Siren dem Hafen von Livorno näherte, befiel ihn eine wachsende Unrast. Nervös stapfte er an Deck umher, was Berry nicht entging. Aber der Captain schwieg, denn er wußte, daß seine Kommentare unwillkommen wären. Sie passierten die Stadt an der Backbordseite, das wichtigste englische Handelszentrum in Italien.
Abrupt wandte sich Beau von der Reling ab, eilte in seine Kabine hinunter und nahm die Cognacflasche aus dem Schrank. Als er ein Glas füllte, zitterte seine Hand ein wenig. Wochenlang hatte er sich keine persönlichen Gefühle gestattet. Während er mit Berry die feindlichen Stellungen ausgekundschaftet und Informationen gesammelt hatte, waren seine Gedanken nur selten zu Serena gewandert und sofort wieder von unmittelbaren Problemen abgelenkt worden. In den letzten Tagen hatte er seine Sorge um die einstige Geliebte erfolgreich verdrängt.
Doch das gelang ihm in der Nähe des Florentiner Hafens nicht mehr. Vor seinem geistigen Augen erschienen all die verlockenden Bilder, obwohl er geglaubt hatte, sie wären seit dem Aufenthalt in Di Cavalli endgültig verschwunden und er könnte
Weitere Kostenlose Bücher