Spion der Liebe
sein früheres sorgloses Leben fortsetzen.
Und wenn ich meinem Impuls nachgeben und plötzlich vor Serenas Tür stehen würde, fragte er sich und starrte in seinen Cognacschwenker, wie soll ich ihr meinen Besuch erklären? Ein Schauer rann über seinen Rücken, als würde er sich einem unbekannten, unerwünschten Gefühl unterwerfen, dem er in all den Monaten instinktiv widerstanden hatte.
Hastig leerte er sein Glas. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, und er goß sich noch einen Cognac ein. Dann schaute er zum Bett hinüber, wo er Serena zum erstenmal geliebt hatte. O ja, er sehnte sich nach ihr, und er mußte sie Wiedersehen.
Was würde er sagen, wenn er auf ihrer Schwelle stand? »Sei meine Geliebte, ich gebe dir alles und rette dich vor den Franzosen.« Oder vielleicht, überlegte er zynisch: »Ich kann dich nicht heiraten, aber ich erfülle all deine anderen Wünsche. Ein Haus, ein Landsitz, zahllose Juwelen, die Aufnahme in der Royal Society.«
Mehr durfte man in dieser geldgierigen Welt nicht von ihm verlangen. Bisher hatten sich ja auch alle Damen, die zunächst auf seinen Adelstitel erpicht gewesen waren, letzten Endes mit seinem Reichtum begnügt.
Aber nicht Serena, dachte er seufzend. Sie ließ sich nicht kaufen. Zum Teufel mit ihr! Er öffnete eine zweite Flasche.
Nach der dritten Flasche stieg er langsam die Kajüttreppe hinauf und überquerte mit unsicheren Schritten das Deck. »Wo sind wir?« fragte er, trat neben seinen Captain und betrachtete die ferne Küste.
»Kurz vor Piombino, Sir.«
»Eine neue Order, Berry«, verkündete Beau lächelnd, obwohl seine Augen einen eiskalten Ausdruck annahmen. »Wir segeln nach Livorno zurück.«
20
Vor einem Monat waren die Castellis nach Florenz zurückgekehrt. Serena studierte bei einem begabten Porträtmaler und einem bekannten Landschaftsmaler. Jeden Morgen eilte sie in eines der beiden Ateliers, arbeitete den ganzen Tag, und abends malte sie zu Hause. Nach der Heimkehr ihrer Freunde hatte sie der Vermieterin erklärt, sie würde zu ihnen ziehen, und erfahren, die Miete sei für ein ganzes Jahr bezahlt worden. Deshalb beschloß sie, in ihrer eigenen Wohnung zu bleiben, um den Castellis nicht zur Last zu fallen.
Jedesmal, wenn sie an Beaus Großzügigkeit dachte, brannten Tränen in ihren Augen. Mochte sie ihn auch wegen seiner Selbstsucht und Herzenskälte verachten – an seiner Großmut bestand kein Zweifel.
Julia und Professor Castelli machten sie mit ihren Freunden bekannt. Bei ihren wöchentlichen Treffen in ihrem Salon versammelten sich zahlreiche Intellektuelle und Künstler. Serena wurde von Verehrern belagert. Seit ihr ein junger Anwalt zum erstenmal begegnet war, umwarb er sie beharrlich. Julias Vetter Sandro, ein erfolgreicher Bildhauer, bot ihr seine unsterbliche Liebe an, ebenso wie die beiden jüngeren Söhne eines Grafen, hochelegant in ihren österreichischen Uniformen. Jeden Tag schickte ihr der Florentiner Präfekt Blumen, und ein junger Priester, von Signorina Serenas Schönheit bezaubert, rang mit seinem Gewissen. Aber sie flirtete nur mit ihren Bewunderern. Ihr Herz war bereits vergeben.
Manchmal weinte sie immer noch vor lauter Sehnsucht nach dem Mann ihrer Träume. Doch der Kummer über ihre unerfüllte Liebe ließ allmählich nach. Oder vielleicht war sie zu beschäftigt, um zu merken, wie schmerzlich sie Beau St. Jules vermißte.
Die Nachricht von Napoleons triumphalem Einmarsch in Mailand erreichte Florenz kurz nach dem erstaunlichen Ereignis. Zwölf Tage später bedeutete die vernichtende Niederlage der Österreicher bei Marengo die neuerliche Vorherrschaft der Franzosen in Italien. Verängstigte Florentiner begannen, ihre Sachen zu packen und Wertsachen zu verstecken. Bald verließ der Haushalt des österreichischen Großherzogs den Palazzo Pitti, und die meisten Regierungsbeamten flohen aus der Stadt. Julia beschrieb die Zustände während der französischen Besatzung von 1799 und warnte Serena vor dem Mob, der erneut über Florenz herfallen könnte. Deshalb dürfe man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr ausgehen.
Zunächst hatte Serena geglaubt, der Krieg würde sich auf die nördlichen Gebiete beschränken. Um so heftiger erschrak sie, als sie Mitte Juni plötzlich französische Soldaten in den Uffizien sah. Sie kopierte gerade gemeinsam mit ein paar anderen Studenten Bronzinos manieristische ›Lucrezia Panciatichi‹.
Unbehaglich beobachtete sie die Offiziere in ihren prächtigen Husarenuniformen, mit
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