Spion Für Deutschland
Ein Gastwirt und ein Friseurmeister aus Bonn legen ein paar Tage Pause ein. Ein Bauleiter schlägt hier die Zeit tot, bis ihn seine Firma abruft. Ich bin unter Menschen. Und ich gewöhne mich wieder an Menschen.
Es ist Friede. Der Krieg ist vorbei. Vorbei. Der Krieg . . .
Ich weiß jetzt auf einmal, daß ich meine Geschichte schreiben muß.
Ich weiß, daß ich den Vorhang von einem Teil des Krieges hinwegziehen muß, den keiner kennt.
Ich muß den lautlosen Krieg schildern, den ich jahrelang in entscheidender Position erlebt habe und der zu meinem Mörder wurde.
Ich will berichten, wie alles war. Wie gemein, wie kalt, wie unerbittlich. Hüben wie drüben. Im Osten wie im Westen. Wie der Mensch leidet, stirbt, wie er vom Krieg zu Tode gefoltert wird. Meine Geschichte, die Geschichte des Agenten 146 der deutschen Abwehr, der später vom Reichssicherheitshauptamt
übernommen wurde, soll die Fotografie einer Zeit sein, die nie wiederkommen darf.
Meine Story ist interessant. Einmalig interessant. Und kalt. Eiskalt. . .
Sie begann 1935, zwei Tage nach meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, in Berlin. Ich war Radioingenieur. In Deutschland wurde marschiert, exerziert und ertüchtigt. Ich hatte ein Angebot nach Peru. Eine deutsche Firma suchte dort einen jungen Mann für ihre Radioabteilung. Sie entschied sich für mich. Nur eine Genehmigung des Wehrbezirkskommandos mußte ich mitbringen.
Ich wußte sehr wenig von Südamerika. Genau betrachtet war mir nur bekannt, daß es dort sehr heiß ist, daß dort Kaffee wächst und daß es glutäugige Frauen gibt, die in märchenhaften Roben aus übergroßen Autos aussteigen und mondäne Klubs besuchen. So ähnlich äußerte sich auch der Hauptmann des Wehrbezirkskommandos, den ich um die Bescheinigung bat. »Sind Sie Jude?«
fragte er. »Nein.«
»Warum wollen Sie dann raus?«
»Aus beruflichen Gründen. Ich wil Spanisch und Englisch lernen. Und dann verdiene ich dort sehr gut.«
Der Offizier genoß seine Vollmacht. Er ging aufgeregt hin und her, schüttelte den Kopf.
»Gut«, sagte er dann. »Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Sie können fahren, wenn Sie zwei Bedingungen erfüllen: Sie müssen eine eidesstattliche Erklärung abgeben, daß Sie niemals die deutsche Staatsangehörigkeit ablegen werden.«
»Und die zweite Bedingung, Herr Hauptmann?« »Sie melden sich sofort nach Ihrer Ankunft bei der deutschen Gesandtschaft in Lima.« »Jawohl.«
Die Devisenstel e genehmigte mir für die Überfahrt zehn Mark Taschengeld. Die Passage bezahlte die Firma Bürger, Import-Export, Lima, Peru. Über Paris fuhr ich in die Normandie und ging bei La Rochelle an Bord der >SS Orbita<. Ich bin nie mehr in meinem Leben so lustig und so sorgenfrei gereist.
Lima hielt alles, was mir meine Fantasie versprochen hatte. Mein Arbeitgeber trat mir in seiner Vil a inmitten eines Olivenhains im Stadtteil San Isidro ein Zimmer ab. Morgens stieg ich aus dem Bett, nahm den firmeneigenen Chrysler, fuhr in der Badehose in den Country-Club zum Schwimmen, frühstückte dann auf der Terrasse und verrichtete anschließend von neun bis elf Uhr mein Tagewerk. Ich verdiente 300 Dollar im Monat. Aber ich brauchte fast kein Geld auszugeben, weil ich überall Gast war. Ich lernte Spanisch und bemühte mich, ein Caballero zu werden. Ich lernte, wie man eine Smokingschleife bindet und eine Frau küßt.
Ich hatte es nicht übertrieben eilig mit meiner Meldung bei der deutschen Gesandtschaft. In Südamerika hat man vor lauter Zeit nie Zeit.
Die deutsche Vertretung hatte sich in einer hübschen Vil a im Stadtteil Miraflores eingemietet. Man verwies mich an einen Attaché, dessen Name mit G
beginnt und den ich hier Gringer nennen wil .
Der Diplomat trug wie jedermann in Lima einen schneeweißen Anzug. Er musterte mich ohne besonderes Interesse. Er sprach zuerst wenig, als ob ihn das Reden anstrengen würde. Er wirkte auf mich wie ein brav gewordener Onkel, der seine schlimmsten Zeiten längst hinter sich hat. Wir tranken Pisco, den wasserfarbigen Weinbrand Südamerikas.
»Was sind Sie von Beruf?« fragte mich Gringer.
» Radioingenieur.«
»Bueno! Hübscher Beruf. Spielen Sie eigentlich Skat?«
»Sehr gern«, antwortete ich.
»Schach auch?«
»Auch das, Herr Attache.«
»Nennen Sie mich Gringer! Wir sind im Ausland. Hier zählen nicht die Titel, sondern die Konten.«
Ich hatte noch oft Gelegenheit, den Mann, der mir an diesem Abend
gegenübersaß, zu betrachten. Er gehörte nicht zu der Sorte Leute, die
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