Spion Für Deutschland
das Kinderzimmer zu. Er nahm mir die Handschellen ab, warf meine Papiere auf den Tisch, schob sich einen Kaugummi in den Mund.
»Setz dich«, sagte er zu mir. Es war das erstemal, daß er überhaupt etwas sagte. Er sah auf die Uhr. Es dauerte ihm zu lange. Ich betrachtete mir die bunten Fresken von Schneewittchen und den sieben Zwergen« an der Wand.
Mein Wächter sah wieder auf die Uhr, stand auf.
»O. K.«, sagte er. Er tippte mit dem Zeigefinger lässig gegen die Stirn.
Das war der Abschied von Amerika.
Er sperrte die Tür von außen ab, sprach ein paar Worte mit einem Steward. Das Schiff lief aus. Nach Deutschland. In die Heimat. In die Freiheit. In das größte Abenteuer meines Lebens. Als wir die Dreimeilenzone passiert hatten, sperrte der Steward das Kinderzimmer auf.
»Es sind Bürokraten«, sagte er. »Ist ja alles Unsinn.«
Er zeigte mir die gedruckte Schiffsliste. Mein Name stand an letzter Stel e. Im Nachtrag.
»Mr. Erich Gimpel«, las ich.
Mister!
Ich starrte das Wort immer wieder an. Vom Häftling zum Mister! Es dauerte Tage, Wochen, Monate, bis ich das Wunder der Freiheit begriffen hatte. Bis ich die Leute wieder unbefangen ansehen konnte. Bis ich wieder essen konnte, was mir schmeckte. Bis meine Zunge wieder einen Moselwein von einem Pfälzer unterscheiden lernte. Bis ich den Frauen nicht mehr aus dem Wege ging. Bis ich es wagte, nach meinen Angehörigen zu forschen . ..
Ich bin fünfundvierzig Jahre, zehn Monate und elf Tage alt. Ich habe ein paar tausend Mark auf meinem Konto. Ich schulde den Vereinigten Staaten von Amerika noch über neunzehn Jahre Haft. Für Amerika bin ich immer noch ein Spion — für Deutschland ein Spätheimkehrer.
Ich habe ein paar Monate an meinen Erinnerungen geschrieben. Ich habe sie bewußt unsentimental wiedergegeben. Ich habe nichts beschönigt. Es gibt, es gab, es wird keine Romantik geben in diesem Metier. Der lautlose Kampf der Spione ist gemein, kalt und unerbittlich. Er ist die schmutzigste Seite des Krieges. Und ich hasse den Krieg.
Ich hasse das Gewerbe der Spione.
Für immer . . .
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