Spionin in eignener Sache
meiner liebsten aus der griechischen Mythologie.«
»Das will ich doch hoffen.« Harriet hatte offenbar das Gefühl, es sei genug geredet. Sie streckte die Beine noch weiter vor, lehnte sich zurück und schloß die Augen, als wolle sie Kate einladen, mit ihr zusammen über Demeter zu meditieren.
Kate starrte zur Decke. Sie erinnerte sich, daß sie als Kind, um die zehn war sie wohl gewesen, die Demeter-Sage in Edith Hamil-tons Buch über Mythologie gelesen hatte. Demeter hatte nur eine Tochter, Persephone, die vom Gott der Unterwelt entführt worden war. Eine bedeutungsvolle Entführung, wurde Kate jetzt klar, denn Persephone hatte sich von ihren Gefährtinnen abgesondert, so wie es Frauen zu allen Zeiten getan haben – früher, weil sie von der Schönheit einer Narzisse verlockt wurden, heute von romantischen Geschichten oder anderen Berichten falscher Idyllen zwischen Mann und Frau. Der Gott der Unterwelt war durch einen Erdspalt aufgefah-145
ren und hatte die weinende Persephone mit hinab in die Verliese seines dunklen Reichs gerissen.
Aber Demeter hatte Macht. Sie war die Göttin der Fruchtbarkeit, herrschte über alles, was auf der Erde wuchs. Um ihre Tochter zu-rückzubekommen, ließ sie die Erde verdorren. Nichts wuchs mehr, nichts konnte geerntet werden. Zeus sandte Boten aus, die sie anfleh-ten, von ihrem Zorn abzulassen. Aber Demeter wollte die Erde erst wieder Früchte tragen lassen, wenn sie mit ihrer Tochter vereint war.
Zum Schluß, erinnerte sich Kate, schloß sie mit dem Gott der Unterwelt einen Handel ab, was der Grund dafür ist, daß vier oder fünf Monate im Jahr nichts wächst. Das ist die Zeit, in der Persephone in die Unterwelt zurückkehren muß. Aber den Rest des Jahres bleibt sie bei ihrer Mutter, und die Erde ist wieder fruchtbar.
»Heute haben Frauen nicht mehr so viel Macht, keine solchen Druckmittel«, sagte Harriet nach einer langen Weile in die Stille.
»Und was mich betrifft – ich hatte nur Sie.«
»Ich verstehe. Trotzdem werde ich meine Frage wiederholen; hatten Sie Kinder?«
»Ja. Wir hatten ein Kind, zu dem ich kaum Kontakt habe. Weniger als kaum. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen.«
»Ich verstehe.« Kate kam es vor, als beginne sie jeden zweiten Satz mit dieser Floskel, die ihr aber im Augenblick gar nicht so unpassend schien. »Dann war Ihr Hauptziel also, eine Spionin à la Carré zu werden.«
»Das habe ich nie behauptet. Ich sagte, daß ich mich von Carré inspirieren ließ, mehr nicht. Um ein le Carréscher Spion zu sein, muß man einem Geheimdienst angehören, eine verkommene Moral haben und davon überzeugt sein, daß alles, was man tut, alle Lügen, die man verbreitet, gerechtfertigt sind. Ich bin keine le Carrésche Spionin, sosehr ich George Smiley bewundere.«
»Aber das Gefühl, daß alle Ihre Lügen gerechtfertigt sind, haben Sie offenbar doch.«
»Das verbitte ich mir, Kate. Das verbitte ich mir wirklich, denn ich habe nicht gelogen.«
»Zuzulassen, daß Leute falsche Schlüsse ziehen und sie nicht eines Besseren belehren, ist lügen.«
»Nein, das ist spionieren.«
»Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es ein Unterschied ist, ob man seine Freunde benutzt oder ob man ihnen traut. Zugegeben, mir hätte vielleicht Demeter einfallen sollen. Aber meinen Sie 146
nicht, daß Reed sich ganz genauso verhalten hätte, wäre er im Bilde gewesen?«
»Tja, ich fürchte, ich hab halt wirklich eine Schwäche fürs Spionieren. Auf die eine oder andere Art haben wir die wohl alle. Spionieren ist nicht lügen, und das ist der Punkt, den die Geheimdienst-spione oft verwechseln, denn im Grunde scheren sie sich nicht mehr um die eigene Seite als um die feindliche, und das war bei mir nie der Fall.«
»Ich weiß nicht. Mag ja sein, daß Sie uns als Verbündete betrachten, aber Sie haben uns wichtige Informationen verschwiegen, wie Ihrer Tochter.«
»Davon kann nun beim besten Willen keine Rede sein«, protes-tierte Harriet heftig. »Was kann ich dafür, daß bei Ihnen der Gro-schen nicht fiel, daß Sie Ihre griechischen Sagen vergessen haben.
Ich habe bloß ein paar Hebel in Bewegung gesetzt und gehofft, es würde meiner Tochter helfen – ob es gelingt, konnte ich nicht wissen. Ich habe meiner Tochter nie etwas verschwiegen. Hätte ich’s getan, wären wir vielleicht besser miteinander ausgekommen.«
»Was heißt das?«
»Es heißt, daß ich den Mann, den sie heiratete, von Anfang an nicht mochte, und als er anfing, sie zu schlagen, mochte ich
Weitere Kostenlose Bücher