Spitfire: Kühler Tod
könnten Sie mir einen Gefallen tun? Könnten Sie mir eine Tasse Kaffee machen, mit Sahne … ohne Zucker?« Dabei wedelt er mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum.
Offensichtlich war das zu Royces Erheiterung gedacht und es funktioniert. Royce lacht, als ich das Büro verlasse.
KAPITEL 5
Wochenende
Du SOLLST Justin nicht trauen!
Das ist mein neuer Vorsatz. Der blöde Arsch hat mich doch tatsächlich versetzt! Ich habe gestern Abend im
Susurrus
auf ihn gewartet, erst war es acht, dann neun Uhr. Und ich saß da bei einem Vierzehn-Dollar-Pinot-Noir und war erst verwirrt, dann wütend, dann besorgt und dann wieder wütend. Richtig wütend. Nach dem zweiten Glas Wein, das mir irgend so ein Typ an den Tisch geschickt hat, bin ich dann nach Hause und sofort ins Bett gegangen.
Am Morgen war ich immer noch sauer auf diesen miesen Hund, aber die unerwartet schlafreiche Nacht hat auch ihre Vorteile: Ich bin gerade auf dem Weg nach Alameda, um meinen Großvater zu besuchen, und ich habe dabei immerhin keinen mordsmäßigen Kater.
Während ich an der Schnellbahnhaltestelle Fruitvale des Bay Area Rapid Transits – kurz BART – stehe, denke ich darüber nach, dass es immer ein bisschen so ist, als hätte man eine Flugreise hinter sich, wenn man wieder aus dem BART aussteigt. In San Francisco war der Himmel wie fast immer nebelverhangen und grau und es war stürmisch, sodass mir der eisige Wind ständig die Haare ins Gesicht wehte. Nicht einmal zwanzig Minuten später bin ichin Oakland und schaue in einen Himmel, der so blau ist, dass es beinahe in den Augen wehtut.
Samstagmorgens so früh aufzustehen und zur East Bay rauszufahren, kommt mir immer furchtbar stressig vor, bis ich Papa Pablos weißen Ford Bronco sehe, der auf den Parkplatz fährt. Lächelnd hält er vor mir an. Ich lächle zurück und steige ein.
»Hi Papa«, begrüße ich ihn und werfe die Tür hinter mir zu, bevor ich ihm einen Kuss auf die Wange drücke. Immerhin sind wir hier in Oakland.
Kurze Familiengeschichte: Mein Vater war selbstständiger Versicherungsbeauftragter für die State Farm Insurance und meine Mutter war seine Büroleiterin. Zehn Jahre lang haben sie Auto-, Eigenheim-, Firmen-, Lebens- und Mieterversicherungen an die guten Leute in Alameda County verkauft. Ich selbst kann mir kaum vorstellen, dass ich es jeden Tag, morgens, mittags und abends, mit immer derselben Person aushalten könnte, aber meinen Eltern schien es nichts auszumachen. Um genau zu sein, ist meine früheste Erinnerung an sie eine, in der sie sich an den Händen halten.
Meine Eltern kamen auf dem Weg zur Arbeit bei einem Unfall mit einem betrunkenen Autofahrer ums Leben. Sie waren beinahe augenblicklich tot, während der Vollidiot im Vollrausch nur ein paar Kratzer abbekommen hat. Ich schätze mal, das beweist, dass man einen Aufprall tatsächlich am besten übersteht, wenn man sich vollkommen schlapp macht, wie eine in Gin getränkte Stoffpuppe. Und mir geht die Frage, was »beinahe augenblicklich« bedeutet, nicht aus dem Kopf und auch nicht, was für ein Mensch so früh morgens schon betrunken ist, und was wohl meine Eltern dazu gesagt hätten, dass er keine Autoversicherung hatte.
An dem Tag des Unfalls hat mein Großvater sein einziges Kind verloren und gleichzeitig zwei Söhne und eine Tochter bekommen. Den achtjährigen Gabriel, den sechsjährigen Ignacio und meine Wenigkeit, im zarten Alter von drei Jahren. Als der Anruf aus dem Krankenhaus kam, ist mein Großvater in Hausschuhen hinausgerannt und direkt zum Flughafen gefahren. Seitdem ist er nicht mehr in Texas gewesen.
Papa greift in seine Hemdtasche und zieht ein Lotterielos heraus. Diesem Ritual entstammt übrigens die Inspiration für meinen Dokumentarfilm. Darin geht es um arme Leute, die plötzlich im Lotto gewinnen. Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, wie viele Lottogewinner Putzfrauen und Gelegenheitsbauarbeiter sind? Ich will einige Gewinner durch den Prozess begleiten, von den bescheidenen Anfängen bis zu dem, was auch immer dann kommt.
»Danke«, sage ich, fische eine Münze aus dem Aschenbecher und rubble das graue Zeug von dem Los.
»Sind wir reich?«, fragt Papa. Sogar wenn er lächelt, sehen seine Augen aus wie die eines Bluthundes.
»Noch nicht«, antworte ich und lächle zurück. »Nächstes Mal.«
Wir gehen in den Supermarkt, halten bei der Apotheke, um Papas Medikamente abzuholen, und biegen dann in unsere Straße ein, die vorwiegend von viktorianischen Häusern
Weitere Kostenlose Bücher