Spitfire: Kühler Tod
dem Klettergerüst. Als Lydia mich sieht, öffnet sie sofort einen der Küchenschränke, in dem nichts zusammenpasst, und drückt mir eine saubere Kaffeetasse in die Hand.
»Guten Morgen«, sagt sie lächelnd.
Genau wie meine Brüder sind auch meine Schwägerinnen personifizierte Gegensätze. Lydia, Iggys Frau, ist Mexikanerin. Eine echte Mexikanerin, nicht so wie wir. Sie stammt aus Mexico City und war auf Verwandtschaftsbesuch in Alameda, als sie meinen Bruder traf. Die Arme. Sie versorgt das Haus, während Iggy als Regionalleiter einer Wasserversorgungsgesellschaft das Geld verdient.
»Gott segne dich«, sage ich und nehme die Tasse.
Da kommt Abbey durch die offene Hintertür. »Harte Nacht?«, bemerkt sie nach einem prüfenden Blick. Gabriels Frau ist eine chinesischstämmige Amerikanerin der dritten Generation und in Hayward aufgewachsen. Sie und mein Bruder sind beide Umweltingenieure. So haben sie sich kennengelernt.
Ich nicke und erkläre dann noch einmal, was ich beobachtet habe.
»Hast du 911 angerufen?«, fragt Abbey sofort.
Vor nicht mal einer Minute kam ich mir noch dumm vor, weil ich beinahe überreagiert und die Polizei in die Sache reingezogen hätte. Jetzt fühle ich mich sogar noch schlechter, weil ich es nicht getan habe. »Ähm …«, murmle ich und trete unbehaglich von einem Bein aufs andere.
»Tomi!« Abbey klingt komplett entnervt. »Es ist immer besser, auf Nummer sicher zu gehen …«
Ich schalte auf Durchzug und sehe Lydia dabei zu, wie sie Schalen mit Rührei und Kaktuswürfeln füllt und marinierte Minutensteaks, Bratkartoffeln mit Paprika, Bohnenmus, Mangostücke und mit Zitronensaft und grobem Salz besprenkelte Avocadoscheiben auf Tellern verteilt.
Lydia unterbricht die Standpauke, indem sie Abbey zwei Schüsseln in die Hand drückt. »Kannst du die bitte auf den Tisch stellen und die Männer zum Frühstück rufen?«, fragt sie mit ihrem schweren Akzent.
Als Abbey hinausgegangen ist, reicht Lydia mir einen mit einer Serviette abdeckten Korb voller Maistortillas, aber als ich ihn nehmen will, lässt sie nicht los. Überrascht sehe ich auf und begegne ihrem bittenden Blick. »Tomi … ruf nächstes Mal sofort die Polizei. Okay?«
Und da fällt mir Lydias Mutter ein. Sie verließ ihre Familie sang- und klanglos, als Lydia noch ein kleines Mädchen war. Lydia hatte immer den Verdacht, dass ihr Vater etwas mit dem spurlosen Verschwinden ihrer Mutter zu tun hatte. Jeden Tag hat sie mit der Ungewissheit und dem Verlust zu kämpfen.
Ich lächle sie traurig an. »Versprochen.«
KAPITEL 6
Montag, 18. Juli
An diesem Morgen trifft sich Scott mit einem potenziellen Neukunden, der eines der historischen Gebäude beim Union Square restaurieren lassen möchte. Es ist ein Frühstücksmeeting, weshalb ich auf dem Weg zur Arbeit noch schnell bei
Chocolate Tiers
haltmache, wo ich noch ein paar Extra-Scones für Scott und seine Frau Vilma einpacken lasse. Ich will bei ihr punkten, bevor ich sie zum ersten Mal treffe. Irgendwie haben Ehefrauen immer eine gewisse Abneigung gegen mich.
Als ich die Eingangshalle von Royce Durand & Associates betrete, sieht Boots auf und lächelt mich an. Mit ihrem runden Gesicht und den Pausbäckchen erinnert sie mich an einen dieser niedlichen kleinen Ewoks aus
Star Wars.
»Hi Tomi. Wird ein heißer Tag heute.«
»Ist es schon«, erkläre ich und fühle schon einzelne Härchen an der Stirn kleben. »Wie läuft’s mit dem neuen Job?«
»Sehr gut, danke. Nur … das Telefon klingelt nicht besonders oft, oder?«
Für mich war der Mangel an Arbeit immer ein echtes Plus. »Nicht wirklich. Die meisten wählen gleich die Durchwahl, deshalb bricht die Leitung hier vermutlich nicht so schnell zusammen.«
»Was soll ich denn dann den ganzen Tag tun?«, fragt sie und furcht besorgt die Stirn.
»Magst du Pornos? Soviel ich weiß, findet man da im Internet eine ganze Menge.«
Boots Pausbäckchen laufen dunkelrosa an. »Neeee«, sagte sie gedehnt und lächelt.
»Eigentlich kannst du tun, was immer du willst, solange du nur nicht den Empfangstresen verlässt. Wenn du mal austreten musst, dann ruf mich an, nicht Doris.« Nach kurzem Nachdenken frage ich: »Wie geht es mit Doris?«
Boots sieht zur Seite. »Gut, glaube ich.« Aber so ganz überzeugend klingt das nicht. »Ist … alles in Ordnung mit ihr?«
»Man hat sie als Teenager auf den Kopf fallen lassen. Nimm Doris nicht allzu ernst, das tut hier niemand«, versichere ich ihr ermutigend. Ich will
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