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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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mehr auf den Kopf, sondern genau auf die Leber des Professors. Auch wenn er nicht richtig traf, würde die Kugel lebenswichtige Organe zerstören, und hier draußen käme jede Hilfe zu spät. Haberland verzog keine Miene.
    »Also schön«, sagte er nach einer Weile, in der sie sich wortlos angestarrt hatten. »Sie wollen die Wahrheit wissen?«
    »Ja.«
    Der Professor setzte sich langsam in den Ohrensessel und neigte den Kopf zum Kamin, in dem das Feuer immer stärker loderte. Seine Stimme wurde zu einem kaum wahrnehmbaren Flüstern. »Haben Sie jemals eine Geschichte gehört und sich danach gewünscht, Sie hätten das Ende niemals erfahren?«
    Er drehte sich zu Marc und sah ihn mitleidig an. »Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«
3. Kapitel
    Elf Tage zuvor Es gibt Menschen, die leiden unter Vorahnungen. Sie stehen am Straßenrand, sehen einen Wagen vorbeifahren und halten inne. Das Auto ist unauffällig, weder frisch gewaschen noch außergewöhnlich verdreckt. Auch der Fahrer unterscheidet sich nicht von all den anderen namenlosen Gesichtern, die täglich an einem vorüberziehen. Er ist weder zu alt noch zu jung, weder hält er das Lenkrad zu verkrampft, noch telefoniert er freihändig und isst noch dabei. Und er überschreitet die Geschwindigkeit nur in dem Maß, das nötig ist, um sich dem Rest des Verkehrs anzupassen. Es gibt keine Vorzeichen für die drohende Katastrophe. Und dennoch drehen sich einige Menschen um - aus einem Grund, den sie später der Polizei nicht nennen können - und starren dem Auto hinterher. Lange bevor sie die Kindergärtnerin sehen, die ihre zerbrechlichen Zöglinge ermahnt, sich beim Überqueren der Ampel an den Händen zu halten.
    Marc Lucas zählte ebenfalls zu den »Schicksalsfühligen«, wie seine Frau Sandra ihn immer genannt hatte, auch wenn die Gabe bei ihm nicht so ausgeprägt war wie bei seinem Bruder. Sonst hätte er vor sechs Wochen die Tragödie vielleicht verhindern können. Ein Alptraum, der sich in dieser Sekunde zu wiederholen schien.
    »Halt, warte noch einen Augenblick!«, rief er zu dem Mädchen nach oben.
    Die Dreizehnjährige fror erbärmlich. Sie stand an der äußersten Kante des Fünfmeterbretts, beide Arme um die Rippen geschlungen, die sich durch den dünnen Stoff des Badeanzugs abzeichneten. Marc war sich nicht sicher, ob es die Kälte war, die sie frösteln ließ, oder die Angst vor dem Sprung. Von seinem Standpunkt aus hier unten in dem entleerten Schwimmbecken war das nicht zu unterscheiden. »Fick dich, Luke!«, schrie Julia in ihr Handy.
    Marc fragte sich, wie sie das dürre Mädchen da oben überhaupt bemerkt hatten. Immerhin war das Stadtbad Neukölln schon seit Monaten gesperrt. Julia musste die Aufmerksamkeit eines Passanten auf sich gezogen haben, der schließlich die Feuerwehr alarmiert hatte.
    »Fick dich und verpiss dich endlich!«
    Sie beugte sich nach vorne und sah in die Tiefe, als suche sie einen geeigneten Platz für ihren Aufprall auf den dreckigen Kacheln. Irgendwo zwischen der großen Pfütze und dem Laubhaufen.
    Marc schüttelte den Kopf und drückte sein Handy an das andere Ohr. »Nee, ich bleib hier. Die Gelegenheit lass ich mir doch nicht entgehen, Schätzchen.« Er hörte ein Raunen hinter sich und sah kurz zu dem Einsatzleiter der Feuerwehr hinüber, der sich mit vier weiteren Helfern und einer Sprungmatte am Beckenrand postiert hatte. Der Mann sah so aus, als bereue er schon jetzt, ihn zu Hilfe gerufen zu haben.
    Sie hatten seine Telefonnummer in der Tasche von Julias Jeans gefunden, die sie gemeinsam mit ihren anderen Anziehsachen sorgsam gefaltet neben die Leiter des Sprungturms gelegt hatte. Es war kein Zufall, dass sie heute ausgerechnet den Badeanzug trug, in dem sie von zu Hause ausgerissen war. An jenem Sommertag, als ihr drogensüchtiger Stiefvater ihr wieder einmal am See aufgelauert hatte.
    Marc legte wieder den Kopf in den Nacken. Im Gegensatz zu Julia hatte er keine Haare mehr, die der Wind zerzausen konnte. Seine Geheimratsecken waren schon kurz nach dem Abitur so ausgeprägt gewesen, dass der Frisör ihm zu einer Radikalrasur geraten hatte. Das war nun dreizehn Jahre her. Heute, wo eine Hundert-Kaffeetassen-Woche seinen Alltag bestimmte, konnte es schon passieren, dass er von einer Fremden in der U-Bahn angelächelt wurde - aber nur, wenn sie auf die Lüge der Männermagazine hereingefallen war, die Tränensäcke, Sorgenfalten, eine schlechte Rasur und andere Verfallserscheinungen zu Charaktermerkmalen

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