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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilly Lindner
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kannten, hat er »Ich liebe dich« zu mir gesagt.
    Wie kann er nur glauben, mich zu lieben, wenn er mich doch so offensichtlich nicht kennt? Wie kann er sagen, dass Kuscheln uns beiden guttut, während ich kämpfen muss, um nicht daran zu ersticken? Wie kann er mich so sehr zu dem machen, was er haben will, ohne zu sehen, wer ich wirklich bin? Denn ich bin kein Kuscheltier. Ich bin nicht flauschig. Ich bin nicht niedlich. Und ich stehe auch nicht mit weichem Fell im Streichelzoo herum und kaue Gras.
    Dann hat Patrick mir einen Ring geschenkt.
    »Ich habe etwas ganz Zartes ausgesucht, etwas, das zu dir passt …«, hat er mir zugeflüstert, während er den Ring an meinen Finger gesteckt hat.
    Beinahe wäre ich davongerannt.
    Im Wettlauf mit meiner Gefühllosigkeit.
    »Ich kann das nicht«, habe ich schließlich ihm versucht zu erklären. »Patrick, ich habe dir doch immer wieder gesagt, dass wir beide Freunde sein können, aber niemals mehr. Und ich habe das ernst gemeint.«
    Patrick hat mich fragend angesehen und nichts verstanden.
    Ich verstehe auch vieles nicht. Zum Beispiel, warum mir winzige, weiche Oberarme, ein schmächtiger Körper und weiße glatte Babyhaut bei einem Mann panische Angst machen. Vielleicht bin ich total beknackt, oder vielleicht brauche ich einfach jemanden, der stärker ist, der mich beschützen kann oder totschlagen. Das läuft nicht gerade auf das Gleiche hinaus, aber wie soll ich so etwas meinem beschädigten Kopf erklären? Gewalt ist Sex. Gewalt ist gnadenlose Nähe. Gewalt ist ungebrochene Macht.
    Gewalt bedeutet spüren, dass man einen Körper hat.
    Von Zärtlichkeit kann ich keine Geschichten schreiben.
    Denn Zärtlichkeit ist ein ungelöstes Rätsel.
     
    Ich wähle Ladys Handynummer, und glücklicherweise erreiche ich sie sogar.
    »Was ist nur los mit mir, was um Himmels willen stimmt nicht mit mir?«, frage ich mehr wütend als verzweifelt. »Kennst du noch jemanden, der so scheiße ist wie ich? Und wenn ja, könntest du mir dann vielleicht seine Telefonnummer geben?«
    »Meine Süße«, sagt Lady gelassen, »was glaubst du denn, was mit dir nicht stimmt? Ich sage es dir: Nichts, verdammt noch mal! Alles ist okay. Du bist du. Wer solltest du denn auch sonst sein nach all dem, was dir passiert ist. Ich kann dir genau sagen, warum ein Mann wie Patrick dich nicht glücklich machen kann. Denn seien wir mal ehrlich, er ist süß und lieb und höflich, aber das war Jesus bestimmt auch, und wo hat das hingeführt? Außerdem ist Patrickboy nicht im Geringsten männlich, weder vom Körperbau noch von seinem Verhalten – entschuldige bitte, aber auf dem Foto, das du mir geschickt hast, sah er aus wie neunzehn, nicht wie dreißig, und gegrinst hat er wie ein Dreizehnjähriger. Er ist bestimmt nicht dumm, aber bestimmt auch nicht sonderlich intelligent. An deine Erfahrungen und an deine Wortwahl wird er niemals heranreichen. Süße, du möchtest lernen, aufrecht zu gehen, deinen Körper mit Stolz zu tragen, das kannst du nicht neben einem kleinen Jungen machen, der mit gebeugter Haltung einherschleicht und ein T-Shirt mit ’nem schwulen Elch drauf trägt. Ich meine, Zuckerschnecke, du siehst vielleicht zart, zerbrechlich und sanftmütig aus – und all das bist du auch; aber noch dazu bist du eine verdammt starke Frau. Auch wenn du zu blöd bist, ein Sandwich zu essen, und keine Ahnung davon hast, wie es ist, liebevoll zu vögeln, weißt du doch ganz genau, was du in deinem Leben haben willst und noch viel wichtiger: Du weißt, was du nicht willst. Schätzchen, du bist so voller Extreme – dein ganzes Dasein ist ein einziges Fallen und Steigen, und wenn kein anderer mehr da wäre, glaub mir, du würdest noch mit dir selbst um die Wette laufen und deine eigenen Flaggen von den soeben eroberten Hügeln reißen, nur um dieselben Fahnen auf einem fremden Berg gleich wieder zu hissen. Meine Süße, jemand wie du kann nicht einfach nur gute Freunde haben, du brauchst Freunde, mit denen du durch den Tod gehen kannst, denen du vertraust bis zum Schluss, ohne Wenn und Aber – alles andere wäre dir zu unbedeutend. Du brauchst Feinde, die mit gezücktem Messer hinter einer Tür auf dich warten und sich auf dich stürzen, sobald du deine Deckung verlässt. Du brauchst die treusten Menschen bei dir und die gefährlichsten Menschen vor, neben und hinter dir – damit du nie vergisst, immer wachsam zu sein, in jeder Sekunde; damit du niemals vergisst, was passiert, wenn man ein einziges Mal mit

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