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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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großen Topfes, der auf dem Herd stand. Puh. Gemüsesuppe. Angewidert wandte ich mich ab. Nicht einmal das Essen konnte diesen Tag ret­ten.
    »Hi«, sagte ich und wollte mich in den Wintergarten zurückzie­hen, doch ein Stapel Umzugskisten versperrte mir den Durchgang.
    »Musst durchs Wohnzimmer gehen, Ellie«, rief Mama aus dem Flur, bevor sie Papa etwas zuflüsterte. Er lachte leise.
    »Was ist denn hier los?«, fragte ich entrüstet. Im Wintergarten sah es aus wie in einem unaufgeräumten Partyzelt. Auf dem Boden standen offene Umzugskartons voller Dekomaterial und Geschirr und Besteck und Tischtücher. Die Hälfte der Glasfronten wurde be­reits durch lange nachtblaue Vorhänge verdunkelt. Auf den äußeren Fenstersimsen standen schwere Terrakottatöpfe, in die Mama Rank­gitter gesteckt hatte. Also noch mehr wilder Wein und noch mehr farblose Spinnen.
    »Sehr hübsch«, brummte Papa, der aus dem Wohnzimmer in den Wintergarten trat und sich neugierig umsah. Er zog den Vorhang ein Stück weiter zu.
    »Na ja«, sagte ich spitz. »Das liegt bekanntlich im Auge des Be­trachters. Und was bedeutet das da?«
    Ich zeigte auf das Sideboard, das mit Tellern, Gläsern und mehre­ren Flaschen Wein bestückt war.
    »Umtrunk!«, verkündete Mama freudig und schob die Kartons mit ein paar gezielten Fußbewegungen zur Seite. »Heute Abend. Mit unseren neuen Nachbarn.«
    Am liebsten hätte ich laut »Nein!« gebrüllt. Bitte nicht noch mehr Menschen, die mich anstarren. Ich halte das nicht aus.
    »Ohne mich«, sagte ich leise. »Sorry, aber ich kann das nicht. Nicht heute.«
    »Ellie ...«, seufzte Mama und lächelte mir aufmunternd zu.
    »Ich hab einen Berg Hausaufgaben zu erledigen und mir fallen jetzt schon die Augen zu, weil ich in diesem scheißstillen Haus nicht schlafen kann«, log ich. »Ich sage Guten Tag und mehr nicht. Okay?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, schnappte ich mir meine Schulta­sche und stürmte nach oben. Der »Berg« Hausaufgaben kostete mich exakt dreiundvierzigeinhalb Minuten. Ich hatte alles erledigt - und nicht nur das: Ich hatte es in Schönschrift getan, die Zwischenzeilen bunt unterstrichen und zum Geschichtsreferat sogar noch zwei Datengrafiken angefertigt. Mehr konnte ich nicht tun. Es war ja bereits mehr als genug.
    Von Nicole und Jenny hatte ich immer noch nichts gehört. Ich angelte mir mein Handy aus der Schultasche. Wieder keine Funk­verbindung. Stattdessen flackerte das Display unruhig vor sich hin. War nun etwa auch noch das Handy kaputt? Ich legte es auf die Fensterbank. Für eine Sekunde baute sich ein Funkbalken auf, dann erlosch das Licht komplett. Ich schloss das Akkukabel an. Kopf­schüttelnd sah ich dabei zu, wie sich die Batterie auflud, im unruhi­gen Rhythmus des flimmernden Lichts.
    Aber eine SMS trudelte nicht ein. Vielleicht hatten die beiden schon längst Nachrichten geschickt und sie kamen nur nicht an? Ich versuchte mir vorzustellen, wie es ihnen ohne mich erging. Jetzt war der Platz neben ihnen frei - der begehrte Fensterplatz schön weit weg von Lehrerpult und Tafel. Ich fragte mich, wie schnell wohl  jemand nachrücken würde. Nicole und Jenny waren beliebt. Es konn­te nicht lange dauern. Und es hätte mich nicht gewundert, wenn es ein Junge gewesen wäre.
    Ich ging an eines meiner vielen Fenster und schaute hinaus, ohne etwas zu sehen. Unten rumpelte und polterte es wieder. Der ständi­ge Geräuschpegel machte mich nervös. Trotzdem gähnte ich ohne Unterlass.
    »Warum nicht?«, murmelte ich, als ich mich dabei ertappte, wie ich das Bett anstarrte. Schlafen war besser, als hier zu sein. Ich ku­schelte mich mit knurrendem Magen in die weiche, duftende Decke und konnte mir gerade noch das Zopfgummi aus den Haaren zie­hen, bevor die Müdigkeit mich überwältigte.
     

    Der Teufel und sein Pferd
     
    »Und das ist Elisabeth, unsere Tochter.«
    Papa trat drei Schritte nach hinten, schnappte sich mein Hand­gelenk und zog mich neben sich in den Wintergarten. Also war mein Plan, lautlos zu verschwinden, schon mal gründlich danebengegan­gen.
    »Hallo«, sagte ich artig und griff nach den Händen, die mir ent­gegengestreckt wurden. Eine faltige Hand, die einem Greis mit Rü­bennase gehörte, unserem Nachbarn von links nebenan. Die gelben Finger einer Frau, die nach Nikotin roch, und die zupackenden Hände eines älteren Ehepaars, er in Karohemd und Bundfaltenhose, sie in einem rostroten knielangen Kostüm. Zwischen diesen Men­schen wirkte Mama mit ihren

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