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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Ringellocken und dem bunten Batik­hemd wie ein Paradiesvogel. Die Augen der Frau im Kostüm husch­ten zwischen Papa und mir hin und her.
    »Ja, die Tochter, das ist nicht zu übersehen«, lächelte sie. Ihre Hand zitterte leicht, als ich sie losließ. Sie setzte dazu an, noch etwas zu sagen, doch dann schloss sich ihr Mund wieder. Der Greis und die Raucherin wechselten gedämpft ein paar Worte.
    Ich sah auf das Sideboard. Die Schnittchen und der Kuchen waren unberührt.
    »Und Sie sind also Psychiater?«, fragte der Mann mit dem Karo­hemd.
    »Ja«, erwiderte Papa ruhig. Schweigen breitete sich aus. Ich kannte diese Situationen schon. Es war immer so. Sobald Papa sagte, was er beruflich machte, verstummten alle. Als hätten sie Angst, in den nächsten Minuten in eine Zwangsjacke verfrachtet zu werden. Der Greis hustete und zeigte nach draußen, wo die Weinranken im schwülen Wind sachte das Glas der Scheibe kitzelten.
    »Ich kenne jemanden, der Ihnen dabei hilft«, krächzte er.
    »Dabei hilft?«, fragte Mama verständnislos.
    »Beim Wegschneiden. Geht ruck, zuck«, kicherte der Alte.
    »Oh, wir mögen das so«, erwiderte Papa freundlich. Der Greis blinkerte ihn verwundert an. Ich sah, dass die Raucherin ihren Kopf schräg legte und ihre trüben Augen ausgiebig über Papas breite Schultern bis hin zu seinem Hintern schweifen ließ, der sich mar­kant unter der dünnen Anzughose abzeichnete. Mir wurde flau im Magen.
    »Ich - äh - ich muss lernen«, sagte ich schnell und floh durch die Küche zur Treppe, ehe Papas Blick mich zum Bleiben überreden konnte. Oben holte ich keuchend Luft. Ich musste hier raus. Und zwar sofort. Vor allem musste ich endlich eine Funkoase finden, um Kontakt zu Jenny und Nicole aufzunehmen. Wenn mein Handy nicht bald funktionierte, würde ich noch den Verstand verlieren. Ich schnappte mir meinen MP3-Player, stopfte mir die Stöpsel so heftig in die Ohren, dass ich mir selbst wehtat, und huschte die Treppe hinunter.
    »Ich geh spazieren!«, rief ich Richtung Wohnzimmer, bevor ich die Tür ein wenig zu laut ins Schloss fallen ließ. Spazieren gehen. Wie hatte ich das früher gehasst, wenn Mama oder Oma Paul und mich nach dem Mittagessen durch den öden Wald trieben. Immer im Kreis herum, immer derselbe Weg.
    Ich fand es auch jetzt öde, aber es war wenigstens eine Beschäfti­gung. Die Gartenstraße mit dem Solarschmetterlingsopi wäre der schnellste Weg in den Wald gewesen. Doch mir war das Risiko zu hoch, dass der Alte mich sah und erneut versuchte, mich in sein Haus zu locken.
    Nein, dann doch lieber bergab zur Hauptstraße (haha) und über das Brückchen hinüber in die Wildnis. Ich ging schnell und schaute dabei nach unten. Mama hatte mir gestern noch eingeblaut, dass man sich hier auf der Straße grüßte und dass ich das bitte auch tun solle. Doch der Gedanke kam mir absolut albern vor. Warum sollte ich einen fremden Menschen grüßen?
    Guckte ich aber auf den Boden und hatte die Stöpsel in den Oh­ren, konnte es mir niemand vorwerfen, wenn ich es nicht tat. Abge­sehen davon erschien es mir mehr als zweifelhaft, dass mich jemand grüßen wollte. Ich konnte selbst spüren, wie dünn und verkniffen mein Mund war, und ich wusste, dass sich mir kleine Falten ins Kinn gruben. Aber ich hatte fast Vergnügen an dem Gedanken, un­nahbar, ja, von mir aus hässlich auszusehen.
    Nach der Brücke musste ich kurz aufschauen, um mich zu orien­tieren. Denn hier teilte sich der Waldweg in einen kleinen, unbefes­tigten Pfad und eine breitere Schotterstraße. Unschlüssig blieb ich stehen. Mein Handy war mir keine große Entscheidungshilfe. Die Batterieanzeige war korrekt, doch immer wieder flimmerte das Dis­play unruhig und die Funkverbindung blieb aus. Den unbefestigten Pfad, entschied ich. Er führte am Bach entlang und war so schmal, dass die meisten Spaziergänger sicher die breitere Variante wählen würden.
    Schon nach wenigen Metern sanken meine Sandalen zentimetertief in das feuchte, weiche Laub ein, das den gesamten Pfad bedeckte. Ich fügte sie in meinem Kopf zu der imaginären Liste meiner  minimierten Outfits hinzu. Zwei Paar Schuhe und ein Wollmantel innerhalb von 24 Stunden. Vielleicht sollte ich mich damit abfinden, dass ich doch eine Großstadtpflanze war, erwog ich halbherzig. Es würde vieles vereinfachen. Ich würde mein Taschengeld in  Zug­tickets investieren, am Wochenende meine Freunde besuchen und bei Nicole oder Jenny übernachten. Aber warum trösteten mich diese

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