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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mich er­blickte. Ich baute mich vorwurfsvoll vor ihnen auf, stemmte die Arme in die Seite und beschränkte mich auf ein dramatisches Schnaufen. Es bedurfte keiner Worte, wenn man mich sah - ich musste einen herzzerreißenden Anblick abgeben.
    »Hast du das Gewitter beobachtet? Fantastisch«, rief Papa ver­gnügt. »Konntest dich ja anscheinend unterstellen«, strahlte er mich an. »Aber wo ist dein Schuh?«
    »Verloren«, sagte ich kühl und drehte mich auf dem Absatz, der mir geblieben war, um. Die hatten ja wohl völlig den Verstand ver­loren. Ich rauschte die Treppe hinauf und wollte mich persönlich davon überzeugen, welch armselige Erscheinung mir entgegensah. Aber mein Spiegel verhöhnte mich. Mein Teint war frisch und rein, als hätte ich soeben in einem Jungbrunnen gebadet. Meine Haare fielen locker, wenn auch etwas buschig über die Schultern - keine nassen, verklebten Strähnen mehr. Und auch meine Kleidung: rela­tiv fleckenfrei, aber vor allem trocken. Lediglich meinen Füßen sah man an, dass ich keinen ganz gewöhnlichen Abend gehabt hatte. Hatte die Sonne mein T-Shirt und die Hose getrocknet? Oder meine Körperwärme? Die des Pferdes? So musste es gewesen sein. Denn der Fremde hinter mir hatte sich alles andere als warm und gemüt­lich angefühlt. Eher kühl und felsig. Offenbar kein Gramm Fett auf den Rippen.
    »Elisabeth? Möchtest du nichts essen?«, rief Mama von unten.
    »Hab keinen Hunger!«, bellte ich zurück. Mein Magen knurrte protestierend. »Ja, okay, ich komme«, setzte ich einen Hauch freund­licher hinterher.
    Aufseufzend schlüpfte ich in meine sauberen, trockenen  Flip-flops - eine Wohltat. Im Haus konnten mir kaum irgendwelche Kleidungsstücke abhandenkommen. Dann schlenderte ich betont langsam die Treppe hinunter.
    »Wir haben uns zu früh gefreut«, hörte ich Papas amüsierte Stim­me aus dem Wohnzimmer. »Unsere Tochter ist nicht das erste Mäd­chen ohne Pubertät. Sie kommt jetzt erst in die Pubertät.«
    »Sieht ganz danach aus ...«, kicherte Mama.
    »So ein Quatsch«, blaffte ich dazwischen. Die letzten Stufen hatte ich im Eilschritt genommen, um diesem leidigen Dialog so schnell wie möglich ein Ende zu setzen. »Ich will einfach nur zurück nach Köln. Zurück zu meinen Freunden. Das ist alles.«
    Mama schlug die Augen nieder - ein wenig schuldbewusst, wie ich fand. Papa, das konnte ich genau sehen, verkniff sich ein Grin­sen.
    Wenn ihr wüsstet, dachte ich und belud meinen Teller mit übrig gebliebenen Schnittchen, während Mama die Kerzen anzündete. Draußen senkte sich die Dunkelheit über das Dorf. Im gedämpften Schimmer der flackernden Flammen sah ich wahrscheinlich erst recht nicht erschöpft und mitgenommen aus. Wenn ihr wüsstet, dachte ich noch einmal.
    Aber sollte ich erzählen, was mir widerfahren war? Das mit dem Baby im Traum hatte ja schon gereicht, um mich der Lächerlichkeit preiszugeben, und passte prima zu dem Pubertätswahn, den meine Eltern nun hegten. Käme ich jetzt noch mit einer Sumpfhalluzina­tion und einem fremden Retter im Waldgewitter samt schwarzem Ross an, wären das nur perfekte Puzzleteile, um mich als hormon­verwirrtes Küken zu disqualifizieren. Und ich wusste auch nicht, wie ich das alles jemand anderem erzählen sollte - selbst Jenny und Nicole kamen nicht infrage. Also hielt ich den Mund und aß stumm vor mich hin. Ich freute mich auf mein Bett, meine Trutzburg in diesem plötzlich so fremden Dasein, und ging rasch nach oben.
    Bevor ich mich schlafen legte, gönnte ich mir den bitteren Spaß, meine imaginäre Liste zu Papier zu bringen.
    »Tag 1: Wollmantel. Stiefeletten.
    Tag 2: Fingernagel. MP3-Player. Eine Sandale. Haarspange.«
    Mein Handy hatte das Gewitter dank seiner wasserabweisenden Hülle in Knallpink (eines von Nicoles zweifelhaften Geburtstags­geschenken) überlebt. Empfang hatte ich aber immer noch nicht.
    Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ich eingeschlafen war - und mich auf dem kalten Dachboden wiederfand.
    Noch immer lag der Säugling allein in seiner notdürftig herge­richteten Futtertrogwiege und schaute unverwandt in den Mond. Doch nun vernahm ich ein leises Trippeln. Schwerelos drehte ich mich zur Seite. Ein zierliches, grau-weiß geschecktes Kätzchen huschte mit wedelndem Hinterteil auf den Dachboden. Zielstrebig steuerte es den Futtertrog an und sprang dem Baby mit einem zärt­lichen Gurrlaut auf den Bauch. Sofort begann es, sanft und rhyth­misch auf dem Säuglingskörper auf und ab zu treten.
    Das

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