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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Gemäuer gepresst. »Bitte, lass es aufhören. Bit­te, bitte, bitte«, jammerte ich wie ein kleines Kind vor mich hin.
    Ich würde bald keine Kraft mehr haben und dann war es vorbei, dann würde der nächste Blitz mich treffen oder ich würde ertrinken, denn ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich in diesen Höllenfluten schwimmen sollte. Trotzdem starrte ich bang nach unten, in der Hoffnung, irgendetwas zu sehen, was mir zur Flucht verhelfen konnte. Irritiert kniff ich die Augen zusammen. Schimmerndes Eis spross rings um die abgerissenen Äste und Zweige, die in den nun ruhiger werdenden Regenwassertümpeln staken. Mein Atem gefror zu hellgrauen Dunstschleiern. Trotzdem loderte in mir eine feurige Wärme, die wohlige Schauer über meinen Nacken rieseln ließ. Wahrscheinlich war ich schon tot und wusste es nur nicht.
    Das schien logisch, denn dann war jene Gestalt, jenes vielarmige Wesen, das sich als dunkle Silhouette aus den aufsteigenden Nebel­schwaden näherte, der Teufel höchstpersönlich und drauf und dran, mich zu holen. Ich drückte meine Augen fest zu und öffnete sie wie­der.
    Oh. Der Teufel hatte ein Pferd. Und er ritt mitten durch das Bach­bett.
    Die Gestalt aus dem Sumpf war verschwommen gewesen und weit weg. Ein trügerisches Zerrbild. Und sie hatte sich kaum bewegt.
    Dieses Pferd aber galoppierte äußerst real und in einem Höllentem­po auf die Brückenruine zu. Sein Reiter saß geduckt auf dem Rü­cken des pechschwarzen Tieres, dessen Fell bei jedem Galoppsprung neue wundersame Schattierungen zeigte - blau, rot, silbrig. Es kam mir nicht nur unnatürlich groß, sondern auch übermäßig muskulös vor.
    Stolz trug es seinen edlen Kopf über einer breiten, glänzenden Brust und die Hufe mussten mindestens tellergroß sein. Trotzdem bewegte es sich elegant und leichtfüßig durch das Unwetter.
    Das Gesicht des Reiters konnte ich nicht erkennen. Er hielt den Kopf gesenkt und doch wurde ich den Eindruck nicht los, dass er mich fest im Visier hatte.
    Zieh weiter. Lass mich hier sterben. Oder sieh mich gar nicht erst.
    Zu spät. Nur noch wenige Meter und das Pferd würde mit vollem Tempo gegen die Ruine und gegen mich krachen - oder mich an­greifen? Ich zog den Kopf zwischen die Schultern und schloss die Augen, wie damals beim Versteckspielen mit meinem Bruder vor gefühlten zweihundert Jahren, als ich noch glaubte, wenn ich nichts sah, würde auch Paul mich nicht sehen.
    Schon konnte ich das gleichmäßige Prusten des Pferdes hören und auch, wie seine Hufe durch die dünne Eisschicht auf dem Was­ser brachen. Das ging doch gar nicht. Es müsste eigentlich einsin­ken, bis zur Brust mindestens. Also wieder eine Sinnestäuschung. Und so konnte es mir auch nicht schaden. Mir nichts tun. Mir -
    Der Griff des Reiters kam so unvermittelt, dass ich erschrocken die Augen aufriss und nach Luft schnappte. »Nein«, wollte ich rufen, doch meine Stimme war eingefroren. Mit einer kräftigen, schnellen Bewegung zog er mich von der Ruine, an deren Steine ich mich wie eine sterbende Spinne geklammert hatte, vor sich aufs Pferd und schlang mir seinen linken Arm um den Bauch. Der Atem des  Pferdes stieg in kleinen Wölkchen von seinen Nüstern auf, als es schrill wieherte und sich protestierend auf die Hinterbeine stellte.
    Der Mann hinter mir zog energisch am Zügel und drückte seine Oberschenkel an den Leib des sich aufbäumenden Tieres. Er sagte kein Wort, doch das Pferd gehorchte. Noch einmal tänzelte es um sich selbst, bevor es mit einer weichen, fließenden Bewegung in den Galopp wechselte. Neben uns stiegen die Wasserfontänen auf und der Wind peitschte mir ins Gesicht.
    Ich vermochte nicht zu sagen, wie lange wir durch das Bachbett ritten - vielleicht nur eine Minute, vielleicht eine Stunde. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich vor Panik nicht zu bespucken oder hysterisch zu schluchzen. Nebenbei unternahm ich mehrere erfolglose Versuche, den Kloß in meiner staubtrockenen Kehle hi­nunterzuschlucken.
    Aber die ganze Zeit über hatte ich nur Angst vor dem Pferd. Nicht vor dem Fremden hinter mir, der mich sicher und fest hielt und mit der freien Hand locker das Pferd dirigierte. Der Pfad, über den ich vorhin noch spaziert war - in einer anderen Zeit, einer anderen Ga­laxie -, war überspült. Die Felswände gingen nahtlos in das schlam­mige, breite Bachbett über.
    Dann war es also doch nicht der Teufel. Sondern jemand, der mich gerettet hatte. Trotzdem war es eine denkbar Furcht

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