Splitterherz
nur noch wenige Zentimeter breit. Ich holte tief Luft, klammerte mich notdürftig an den glitschigen Ästen eines Strauches fest und zog mich wie eine Krabbe um die Kurve.
Da - eine der Brückenruinen. Dem Himmel sei Dank. Das war meine Rettung. Ich stürzte auf sie zu und drückte mich unter den verwitterten Resten des Brückenbogens rücklings an die kalten Steine.
Endlich ein Unterstand. Allerdings ein verdammt schlechter, wie ich fast im selben Moment feststellte. Das Wasser kam von allen Seiten, tropfte von den Steinen, rann in kleinen Bächen an den Fugen herunter und quoll zwischen den Wurzeln des Pfades empor. Überhaupt - das war kein Pfad mehr. Das waren nur noch einige Steine zwischen zahllosen ineinanderfließenden Wasserstraßen, die unaufhörlich breiter wurden.
Hier konnte ich nicht bleiben. Ich musste auf die Ruine gelangen, sonst würde ich bald bis zu den Knien im Wasser stehen. Und wenn mich nicht alles lauschte, war die Gefahr, im Wasser vom Blitz getroffen zu werden, größer, als wenn ich mich an einen Felsen oder Stein schmiegte.
Also zurück in den Regen. Der Wind heulte wütend und drückte mir immer wieder die Haare ins Gesicht, sodass ich kaum etwas sehen konnte. Meine Haarspange hatte ich längst verloren - Numero fünf auf der Liste, notierte ich geistesgegenwärtig und verfluchte mich gleichzeitig dafür.
Wenn ich so weitermachte, war ich selbst bald Nummer sechs.
Inzwischen war es so kalt geworden, dass ich keine Kontrolle mehr über meine Finger hatte. Ich benötigte mehrere Anläufe, bis ich den Steinvorsprung zu fassen kriegte, von dem ich mich Stück für Stück auf die Ruine ziehen wollte. Ich biss die Zähne zusammen. Eins, zwei, drei. Und hoch! Mein Fuß rutschte ab und ich sah aus den Augenwinkeln meine Sandale in einem Wasserstrudel davontanzen. Egal. Barfuß kletterte es sich sowieso besser.
Die Kraft in meinen schlotternden Armen ließ schnell nach. Immerhin schaffte ich es bis zu einer Abbruchstelle, die mir genug Platz bot, um mich bäuchlings daraufzulehnen. Mit der rechten Hand hielt ich mich an einem alten, umgebogenen Schienenstück fest. Bis hier hoch würde das Wasser nicht steigen - und wenn ja, dann war sowieso alles zu spät und das ganze Dorf würde versinken.
Es ist nur Regen, sagte ich mir abermals. Regen, Blitze und Donner.
Und beobachtete merkwürdig unbeteiligt, wie sich plötzlich ein bläulicher Schimmer um meinen nackten Arm legte. Mit einem sanften Zischen richteten sich sämtliche Flaumhaare auf und ein tiefes Summen raste durch meine Muskeln. Es sauste die Beine hoch, füllte meine Arme und schoss dann in meinen Kopf. Jeder einzelne Zahn schmerzte und eine immense, bohrende Kraft drückte von innen gegen meine Augäpfel.
Es toste und lärmte um mich herum, ein Donnerschlag folgte dem anderen, so rasch hintereinander, dass ich weder Zeit hatte, Sekunden zu zählen, noch zu beten. Der Regen hatte sich mit dem anschwellenden Bach und den tausend Wassersträßchen zu einem machtvollen Tosen zusammengefunden und um mich herum zerbarsten Äste mit einem fast tierischen Kreischen.
Trotzdem hörte ich die beiden Worte laut und klar, ein beschwörendes, warnendes Drängen: »Lass los!«
Ich starrte auf meinen bläulich schimmernden Arm, der die Schiene umklammert hielt. Loslassen? Jetzt loslassen? Aber das durfte, das konnte ich nicht!
Das Summen wurde stärker. Ich bebte am ganzen Körper. Wenn ich losließ, würde ich fallen, in den reißenden Bach hinein - und überhaupt, woher kam das Flüstern? War es meine Intuition, die mich warnte? Und war die jemals für etwas gut gewesen?
Meine Vernunft sagte Nein. Und doch ließ ich los.
Ich ließ los und nur eine Millisekunde später blendete mich grelles Licht. Meine Haare richteten sich in einem knisternden Fächer kerzengerade auf. Das Schienenstück vor mir, das ich eben noch umklammert hatte, sprühte schlohweiße Funken, die heiß auf mein Gesicht trafen. Der Donnerschlag war so laut, dass ich für einen Moment die Besinnung verlor, bevor ich ins Rutschen geriet und verzweifelt mit meinen eiskalten Händen nach Halt suchte.
Ich fand ihn einen halben Meter tiefer - hier gab es für meine Füße zwei kleine Vorsprünge, gerade groß genug, um mich abzustützen, gerade noch über dem gurgelnden Wasser. Meine Arme hielt ich ausgebreitet wie Jesus am Kreuz und grub meine Finger tief in die Gesteinsfugen. Weinend schaute ich auf den Bach, die Wange fest an das triefende
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