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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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erreichen. Das funktioniert allerdings nicht, wenn es nichts im Leben gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Aber ich hatte etwas - meine Frau, meinen Sohn, meine ungeborene Tochter. Also hab ich mich gezwungen, Mensch zu bleiben. Und aus dem Schlechten etwas Gutes zu machen«, erklärte Papa leidenschaftlich. »Anderen Men­schen zu helfen, die - aber das ist jetzt nicht interessant«, brach er ab, als habe er zu viel gesagt.
    »Was ist mit Mama?«, fragte ich fordernd. »Hast du ihr sofort da­von erzählt? Oder musste sie es auch erst durch Zufall erfahren?«
    Papa blickte mich einen Moment lang verblüfft an und begann dann laut zu lachen. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigt hat­te.
    »Elisa, meine Güte, was glaubst du denn? Ich komme von einer Reise zurück, habe den Rücken voller Narben, benehme mich selt­sam, mag auf einmal kein direktes Sonnenlicht mehr - denkst du wirklich, ich könnte Mia siebzehn Jahre lang anlügen?«
    »Mich konntest du ja auch anlügen«, erwiderte ich zornig.
    »Dir ist nie etwas aufgefallen«, sagte Papa sanft, aber bestimmt. »Du kennst mich nicht anders. Und wir wollten dich schützen, so lange es geht.«
    »Schützen? Mich schützen?«, fragte ich aggressiv und meine Stim­me kiekste vor Erregung. »Du redest von Schutz? Ich lebe ahnungs­los mit einem - einem Mann zusammen, der Hunger auf die Träu­me anderer Menschen hat und sie fast umbringt, wenn er seinen Hunger stillt, und du sagst, du wolltest mir nichts erzählen, um mich zu schützen? Ich bin in Gefahr und Mama ist es auch.« Ich war aufgestanden und versuchte krampfhaft, meine zitternden Hände ruhig zu stellen, indem ich sie in die Hosentaschen stopfte. Doch das half nicht viel.
    »Du bist nicht in Gefahr. Nicht im Geringsten. Selbst wenn ich dir Träume rauben würde. Es würde dich höchstens lebensmüde und depressiv machen.« Na prima. Höchstens. Ich funkelte ihn wütend an, aber er lächelte nur. »Ich habe nicht die Macht wie andere - nicht wie dieser aus St. Lucia. Setz dich wieder, Elisa, und hör mir zu.« Ich gehorchte, obwohl ich mich nur mühsam zwingen konnte, meine Arme und Beine still zu halten.
    »Ich weiß nicht, warum das so ist, aber es scheint da eine Art Im­munität zu geben. Vielleicht, weil ich so sehr an dich dachte, als ich angefallen wurde. Vielleicht aber auch, weil du meine Tochter bist. Mein eigenes Fleisch und Blut. Jedenfalls - jedenfalls bist du für mich so interessant wie eine Scheibe Toastbrot. Rein traumhungertechnisch gesehen.«
    »Oh, danke«, blaffte ich ihn an, konnte mich aber nicht gegen das Lächeln wehren, das meine Mundwinkel nach oben zog. Es war ver­führerisch, ihm zu glauben. Immunität. Aber wie konnte ich wissen, ob er die Wahrheit sagte?
    »Und Mama? Was ist mit ihr? Bist du ihr gegenüber auch im­mun?«, bohrte ich weiter.
    »Deine Mutter - ich habe ihr nie etwas genommen. Sie war auch nie in Gefahr. Überhaupt habe ich noch nie einen Menschen be­raubt. Ich muss es nicht, um leben zu können. Es wäre nur leichter, wenn ich es tun würde. Die Versuchung ist groß. Das ist alles. Das glaubst du mir doch, oder?«
    Ich wollte ihm glauben, so sehr. Doch was er über die Versuchung sagte, klang in meinen Ohren äußerst alarmierend. Was war, wenn Papas Stärke auf einmal brüchig wurde? Wenn Mama und er sich stritten? Oder wenn ich mich gegen ihn stellte?
    »Ich schütze auch sie, wo es nur geht. Und wenn es mir zu heikel erscheint, dann - dann schicke ich sie weg.«
    »Die Wellnessurlaube«, sprach ich halblaut meinen plötzlichen Gedanken aus.
    Ich hatte das für einen Tick von Mama gehalten. Dass sie auf ein­mal verkündete, für ein paar Tage Wellness zu machen, sie sei so gestresst. Von was nur?, hatte ich mich immer gefragt. Mama ar­beitete nicht. Sie hatte nie gearbeitet. Sie war von Beruf Mode­schneiderin, aber sie war immer nur zu Hause gewesen, seitdem ich auf der Welt war. Oder eben im Wellnessurlaub. Während ich mit Papa allein zu Hause geblieben war. Ich, allein mit einem Monster.
    »Genau. Die Wellnessurlaube«, sagte Papa leise. »Und Paul - Paul ist ein Junge. Die Träume von Männern könnten mich nicht sätti­gen. Außerdem ist er mein Sohn und ich liebe ihn.«
    Paul. »Paul!«, rief ich und mir kam sein merkwürdiges Gestotter von vorhin wieder in den Sinn. »Sein überstürzter Auszug, das In­ternat - hat es etwas damit zu tun?« Was hatte Paul damals gesagt? Er müsse auf eigenen Füßen stehen. Er brauchte seine Freiheit. Mit

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