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Splitterherz

Titel: Splitterherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Denn keiner wird dir glauben und jeder wird dich für verrückt erklären. Im
    Ernstfall landest du bei mir in der Klinik. Und ich habe schon genü­gend schwierige Patientinnen.«
    Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Ein Schwur. Das klang ge­wichtig und lebenslänglich.
    »Kannst du das, Elisabeth? Wenn du es nicht kannst, dann ...«
    »Ich kann es«, sagte ich schnell. »Ich kann es. Ich muss. Ich werde. Ich verspreche es dir.« Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn fragen zu dürfen, und nun saßen wir hier und schrieben mein Leben um.
    »Was genau ist da passiert? Was war es? Dieses - Ding?«
    Durch meinen Magen ging ein unangenehmer Ruck. Was immer er mir nun erzählte - es würde mir auch etwas über mich erzählen und ich hatte Angst vor dem, was ich hören würde. Papa lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Unter dem dünnen Stoff seines Hemdes traten seine kräftigen Muskeln hervor. Sein tiefblauer Blick wanderte in eine fremde Ferne, die nur er se­hen konnte.
    »Wir steuerten St. Lucia an. St. Lucia ist eine der wilderen Inseln. Genau das reizte mich. Ich wollte auch abseits der Strandpromena­den etwas erleben.«
    Also war das noch eine von Papas alten, menschlichen Charakter­eigenschaften - seine Abenteuerlust.
    »Wir hatten anderthalb Tage Zeit, die Insel zu besichtigen. Einen Nachmittag und einen ganzen Tag. Ich lieh mir ein Auto und nahm mir vor, am nächsten Morgen zu einer Tour über die Insel zu star­ten. Auf der Karte war eine Straße eingezeichnet, die nach einer Rundroute aussah. Ich schätzte, dass ich maximal vier Stunden da­für brauchte. Doch ich hatte mich getäuscht. Der Dschungel wurde immer stickiger und dichter und die Schlaglöcher waren irgend­wann so tief, dass mir angst und bange um den Wagen wurde. Seine Federung ächzte und stöhnte. Dauernd rutschte mir das Lenkrad aus den Händen. Die Gegend gefiel mir nicht, doch umkehren woll­te ich auch nicht. Hier oben gab es keinen Tourismus mehr. Nur verfallene Hütten, und wenn ich mit dem knatternden Wagen auf­tauchte, kamen die Bewohner aus ihren Behausungen und starrten mich mit finsteren Blicken an. Ich war ein Störenfried, verstehst du? Und das zeigten sie mir deutlich. Nie hätte ich gedacht, dass hier eine solche Armut herrschte. Aber was mir wirklich unheimlich wurde, waren das Wetter und die Tatsache, dass die Straße kein Ende nahm und immer schmaler und schlechter wurde. Inzwischen waren dunkle Wolken aufgezogen. Es war so schwül, dass ich kaum Luft holen konnte. Ich wurde entsetzlich müde. Ich musste einfach eine Pause machen, obwohl es bereits dämmerte und das Schiff um zehn Uhr ablegen wollte. In der Karibik wird es blitzschnell dunkel. Da gibt es keine langen Sonnenuntergänge wie hier. Die Sonne pur­zelt ins Meer.«
    Papa machte eine Pause und blickte weiterhin ins Nichts. Sah er die rote Sonne zwischen den schwarzen Wolken von St. Lucia? Ich blieb mucksmäuschenstill, um ihn nicht in seinen Gedanken zu stören.
    »Ich saß also in diesem offenen Wagen, erschöpft und durstig und todmüde, mitten im Nirgendwo. Meine Karte zeigte mir das gleiche, unmissverständliche Bild: Die Straße würde irgendwann wieder am Hafen enden. Doch ich hatte jegliches Gefühl für Zeitabstände und Entfernungen verloren. Ich konnte nur eines tun: mich ein wenig erholen und dann weiterfahren. Ich dachte an deine Mutter und das kleine Wesen in ihrem Bauch. An die Ultraschallaufnahmen beim Arzt, auf denen du als kleine Kaulquappe Purzelbäume geschlagen hast. Das beruhigte mich. Ich war gerade eingedöst, als die Vögel des Waldes schlagartig verstummten. Plötzlich war es totenstill. Das irritierte mich sogar im Schlaf. Ich war zu müde, um mich auf­zurichten, lauschte aber mit geschlossenen Augen.
    Ich war mir sicher gewesen, der einzige Mensch hier oben zu sein, als ich mich dazu entschieden hatte, Rast zu machen. Doch dieses sichere Gefühl war jetzt verschwunden.
    Und dann spürte ich eine kalte, krallende Last auf meinem Rü­cken. Lautlos und mit einem schweren Schlag hatte sie sich aus dem Nichts auf mich fallen lassen. Sie war schwer, schwer wie ein Mensch, doch als ich versuchte, meinen Kopf zu wenden, konnte ich nichts erkennen außer einem dunklen Schatten und glühenden Augen. Es war, als ob pulsierendes Gift durch meinen Körper schießen würde, aber das Wesen auf meinem Rücken blieb geräuschlos, nicht einmal ein Atmen oder ein Keuchen konnte

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